Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

Tũrkei. (Juni 28.—NJuli 290.) 609 
28. Juni. Schluß der Parlamentstagung. 
Der Großwesir hob in längerer Rede hervor, daß die politische 
Lage sich sehr gebessert habe. Vor sechs Monaten sei die Haltung Europas 
gegenüber der Türkei noch schwankend gewesen, man habe von einem Balkan- 
bund gegen die Türkei gesprochen. Doch der Besuch des Königs der Bul- 
garen und des Königs von Serbien habe die öffentliche Meinung Europas 
über die Lage auf dem Balkan beruhigt. 
1. Juli. Die gesamte türkische Presse fordert die Bevölkerung 
auf, den Boykott zu beendigen, weil sonst die Türkei die Sympathie 
Europas verlieren könne. 
7. Juli. Entdeckung des Geheimbundes Islahat, der durch 
Ermordung der Minister und Parteiführer das jungtürkische Regime 
beseitigen will. 63 Personen werden verhaftet. 
9. Juli. (Kreta.) Zusammentritt der Nationalversammlung. 
Ultimatum. 
Abends vorher (Freitags) überreichten die Konsuln der Schutzmächte 
dem Exekutivkomitee folgendes Ultimatum: Wenn die kretische National- 
versammlung bei der nächsten Wiederaufnahme ihrer Arbeiten die musel- 
manischen Abgeordneten nicht ohne Eidesleistung zuläßt und wenn kretische 
Beamte muselmanischer Religion an der Ausübung ihrer Amtspflichten 
gehindert werden oder ihrer Besoldung verlustig gehen sollten, weil sie sich 
weigern, den von der kretischen Nationalversammlung vorgeschriebenen Eid 
zu leisten, so werden Truppen der vier Schutzmächte in den Haupthafen- 
plätzen der Insel gelandet und die Zollämter besetzt werden. Diese Maß- 
regeln werden ausgeführt werden, wenn nicht bis Montag mittag über 
diesen Gegenstand eine Entschließung der kretischen Regierung erfolgt. 
9. Juli. (Kreta.) Die Nationalversammlung nimmt ein- 
stimmig den von Veniselos ausführlich begründeten Antrag an, 
die Muselmanen ohne Eid zuzulassen. 
Darauf vertagte sich die Versammlung auf vier Monate. Von den 
114 Mitgliedern hielten sich 55 der Abstimmung fern. (Siehe 15. und 
20. Mai.) 
12. Juli. Es wird amtlich verkündet, daß der Scheik ül 
Islam, Husni, seine Entlassung genommen hat und durch den 
Senator Mussa Kiasim ersetzt worden ist. 
17. Juli. Patriarchat und Griechentum. 
Die Pforte hat das ökumenische Patriarchat aufgefordert, fremde 
Staatsbürger nicht mehr als Lehrer an den griechischen Schulen anzustellen 
und die Entlassung aller im Dienste befindlichen Lehrer griechischer Staats- 
bürgerschaft herbeizuführen. 
20. Juli. Ein Deutscher namens Fritz Unger wird in dem 
Fellachendorfe Hreh bei Haifa meuchlings von einem Eingeborenen 
erschossen. 
Er hatte sich als Sachverständiger auf Ersuchen des türkischen 
Richters von seinem Wohnort Haifa zu dem Weinberg begeben, wo die 
Europäischer Geschichtskalender. Ul. 39 
 
	        
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