174 Verfassungsurkunde. § 95—97.
rechte privatrechtliche oder verwaltungsgerichtliche Ansprüche er-
zeugen, sind jetzt durch die Reichs= und Landesgesetzgebung er-
schöpfend geregelt; neben diesen gesetzlichen Vorschriften kommt
der allgemeinen Regel des § 95 VuU. eine selbstän-
dige praktische Bedeutung nicht mehr zu.
§ 96. 8elbständigkeit der Kriminalgerichte.
Die Erkenntnisse der Kriminalgerichte beffürfen, um in
Rechtskraft überzugehen, keiner Bestätigung des Regenten.
1. Der Grundsatz des § 96 ergibt sich aus der Unabhängigkeit
der Gerichte und der Unzulässigkeit der Kabinettsjustiz; er hat für
das bürgerliche Verfahren sowohl in der Reichsstrafprozeßordnung
als in den landesgesetzlichen Vorschriften über die Urteile der Dis-
ziplinargerichte Anerkennung gefunden und so seine unmittel-
bare praktische Bedeutung verloren.
2. Die Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezbr.
1898 hat die Einrichtung der Bestätigung der Urteile beibehalten;
im ordentlichen Verfahren hat die Bestätigung nur die formale
Bedeutung, daß damit die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Ur-
teils zum Ausdruck kommt, dagegen ist gegenüber den im Felde
oder an Bord ergangenen Urteile mit dem Bestätigungsrecht das
Recht verbunden, eine Vervollständigung der Untersuchung anzu-
ordnen und das Urteil aufzuheben; welchem militärischen Befehls-
haber die Bestätigung zukommt, bestimmt bei dem Landheer im
Frieden der Kontingentsherr, im Kriege der Kaiser, bei der Marine
stets der Kaiser (MilSt GO. 88 416—435).
§ 97. Begnadigungs- und Mbolitionsrecht.
Dagegen stebt dem Könige zu, Straferkenntnisse vermöge
des Begnadigungsrechtes auf erforderten und erstatteten Be-
richt des erkennenden Gerichtes aufzuheben oder zu mildern.
Es sind daher die Kriminalgerichte nicht nur verbunden, in
schweren Fällen die Akten samt ihrem Erkenntnisse vor der
Eröffnung desselben durch das königliche Justizministerium
dem RKönige zum Behuf einer etwaigen Begnadigung vorzu-