Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

II. Die Rechtsgeschichte. 557 
zweite sei und deshalb den sachlichen Vorrang verdiene. Keines von beiden ist 
begründet; das Gegenteil der aufgeführten Sätze ist wahr. 
Wenn wir in einem bestimmten Rechtssystem das begriffliche Verhältnis 
des Eigentums zu dem Pfandrechte erwägen oder das dieser beiden zu der Ein- 
richtung der Schuldverhältnisse, so ist dieses keine genetische, sondern eine 
systematische Betrachtung, — das heißt: es ist nicht eine Erklärung wahr- 
genommener Erscheinungen aus notwendigen wirkenden Ursachen 
her, sondern ein Begreifen von zusammengesetzten Willensinhalten nach 
bleibenden logischen Bedingungen. Und so durch das ganze Rechts- 
gebiet hindurch. Auch da, wo wir von der Entstehung rechtlicher Verhält- 
nisse und dem Eintreten rechtlicher Folgen handeln, ist dies kein Aneinander- 
reihen im genetischen Sinne; es muß der Ausdruck ‚Ursache‘' schon sehr 
verblaßt und eigentlich in ganz verwaschener Übertragung gebraucht werden, 
wenn die Wendung zutreffen soll, daß ein Rechtsgeschäft oder ein Delikt die 
danach vom Rechte gesetzten Folgen ‚verursache‘‘. Und wie wollte man auf- 
rechterhalten, daß derGrundbegriff des Rechtesselbst, seine Abgrenzung 
von Moral, Sitte, Willkür, oder die Klarlegung der formalen Richtlinien 
von begründeten kritischen Urteilen in die Klasse der Erwägungen geneti- 
schen Charakters gehören? — So zeigt sich, daß der Satz unbegründet ist, daß 
man Recht und rechtliche Zustände nicht anders denn auf genetische 
Weise begreifen könne. 
Statt dessen sind beide Methoden, die genetische und die systema- 
tische, zu pflegen. Wer es für unrichtig erachtet, daß die Jurisprudenz eine 
ausschließlich ‚‚genetische‘‘ Betrachtungsweise bedeute, der sagt damit 
wahrlich nicht, daß das geltende Recht ‚‚ungeschichtlich‘‘ aufzufassen und 
etwa ausschließlich ‚systematisch‘' zu untersuchen sei. 
Fragt man dann aber nach dem Verhältnis dieser beiden Arten wissen- 
schaftlichen Forschens und Arbeitens, so ist die systematische Feststellung 
die notwendige Bedingung für die genetische Frage und hat insofern vor 
dieser den logischen Vorrang. Denn alle entwicklungsgeschichtliche Be- 
trachtung — dies muß heute stets auf das neue betont weden — ist nur ana- 
lytisch. Sie geht von einem Gewordenen nach rückwärts in der Absicht, jenes 
systematisch bereits Festgelegte aus seinem Werdegang noch genauer und 
schärfer erkennen zu können; und sie gebraucht das Richtmaß eines systema- 
tisch begründeten Urteiles über das Gewordene. — So setzt die Geschichte des 
Eigentums einen systematisch gesicherten Begriff des Eigentums als allge- 
meine und bleibende Aufgabe des Rechtes voraus, die dann erst verschiedene 
Einzelausführungen im Laufe der Geschichte erfahren hat. Wenn wir nicht den 
logisch festen Halt in einem einheitlichen Begriffe besäßen, so könnten wir 
ja auch niemals den Wechsel in Nebenbestimmungen als die Entwicklung 
eines und desselben Instituts genetisch beobachten und darlegen. — Es 
ist wohl ‚‚die Geschichte‘ allgemein als ‚„Lehrmeisterin‘‘ angerufen worden; 
so für Politik und Gesetzgebung in weitem Maße und großen Zügen besonders 
von Macchiavelli und dann von Montesquieu. Aber es ist doch selbstverständ-
	        
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