Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVII. Jahrgang, 1906. (17)

An der Südküste von Neu-Pommern besteht der 
Gebrauch, den kindlichen Schädel mit Tüchern ein- 
zuschnüren und so einen künstlichen Spitzkopf zu er- 
zeugen. 
Ethnologie. 
Totemismus. Neu-Mecklenburg?) ist das einzige 
Gebiet in Deutsch-Neu-Guinea, wo ich ausgebildete 
Totemvorstellungen und Totemeintellung vorfand. 
Ob die Spuren von Totemvorstellungen in den an- 
deren Tellen des Schutzgebietes von Neu-Mecklen- 
burg übernommen wurden oder ob sie Reste eines 
überwundenen Totemismus sind, wird schwer zu 
entscheiden sein. In dem ganzen von mir durch- 
wanderten Gebiet von Neu-Mecklenburg teilt sich die 
Bevölkerung in zwei Gruppen nach den beiden herr- 
schenden Totemtieren. Es sind zwei Raubvögel, 
Malaba, ein Seeadler, und Taragau, ein Habicht. 
Die Zugehörigkeit zu der einen oder der an- 
deren Gruppe, zu dem einen oder dem anderen 
Totemvogel wird durch die Mutter vererbt, sowie 
auch sonst Mutterrecht herrscht. Die Männer der 
einen Gruppe müssen ihre Weiber immer aus der 
anderen Gruppe nehmen und umgekehrt; ein Mann 
des Malaba kann nur ein Weib des Taragau hei- 
raten und umgekehrt. Heirat (oder Verführung) 
innerhalb desselben Totemvogels gilt als schweres 
Verbrechen und wird immer mit dem Tode bestroft; 
es ist ein viel schwereres Vergehen als Ehebruch. 
Bis hierher sind die Totemvorstellungen gewöhnlich 
und typisch. Bemerkenswert ist nun, daß nicht beide 
Totemtiere glelchwertig sind: Malaba ist der größere 
und stärkere Vogel, man hat oft gesehen, wie er 
dem kleineren und schwächeren Taragau die Beute 
abjagt; man traut ihm daher auch mehr Macht 
über die Menschen zu. Er kann den Tod eines 
Menschen herbeiführen, er findet ouch den Zauberer 
heraus, der einen anderen Menschen durch Zauberei 
getötet hat; nur der Malaba kann das. Man wendet 
sich an den Vogel Malaba, besingt ihn bei Nacht 
und bittet ihn, den Tod des verzauberten Ver- 
wandten zu rächen. Aber nur ein Angehöriger des 
Malaba darf den Malaba befingen, gewissermoßen 
„zu ihm beten". Braucht ein Angehöriger des 
Taragau die Hilse des Malabo, so muß er sich an 
einen Mann aus der Gruppe des Malaba wenden, 
der das für ihn tut. Daraus resultiert ein gewisses 
Ubergewicht der Malabaleute. Man glaubt jedem 
Menschen seine Zugehörigkeit zu dem Malaba oder 
zu dem Taragau an gewissen Merkmalen anzusehen: 
an den Falten der Hand, am Gang, an der Bil- 
dung der Augenbrauenbogen. All das beruht na- 
türlich auf bloßer Einbildung. 
Jauberei. Als Todesursache wird, ebenso wie 
in Neu-Guinea, fast immer Zauberei gehalten, so- 
wohl bei Krankheit als bei Unglücksfällen. Es ist 
eine völkerpsychologisch höchst wichtige und inter- 
*) Vielleicht auch der auf der anderen Seite der 
Georgsstraße gelegene Teil von Neu-Pommern, der darauf 
nicht untersucht ist. 
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essante Tatsache, daß es dem primitiven Menschen 
ganz unmöglich ist, in der Krankheit oder einem 
Unglücksfall natürliche Vorgänge zu erblicken. 
Geld. Während in Neu-Guinea selbst nur bei 
wenigen Stämmen Geld oder wie Geld einzu- 
tauschende Schmucksachen in Gebrauch sind, ist die 
Verwendung von Geld auf den Inseln des Bismarck- 
Archipels verbreitet; es ist überall Muschelgeld, die 
Herstellung und Form varilert. Als Einheit gilt ein 
Faden, d. h. so viel, als ein Mann klaftern kann. Es 
besteht die Tendenz, das Muschelgeld zu thesaurieren; 
Besitz von viel Geld sichert größeren Einfluß. Da- 
mit hängt es auch zusammen, daß man im Bismarck- 
Archipel mit mehr Recht von Häuptlingen reden 
kann als in Neu-Guinea. Die Pflanzungen werden 
(in der Gegend von Namatanai) von der Dorsschaft 
gemeinsam angelegt, jedem einzelnen aber ein beson- 
derer Platz eingeräumt. Dile fruchttragenden Bäume 
sind Eigentum des einzelnen. Mit Zahlung von 
Geld kann fast jedes Unrecht oder Verbrechen ge- 
sühnt werden; nur Verführung innerhalb der Gruppe 
desselben Totemtleres nicht (siehe oben). 
Kannibalismus. Die Sitte, die erschlagenen 
Feinde zu essen, war früher über den ganzen Bis- 
marck-Archipel verbreitet und besteht heute noch dort, 
wo der Elnfluß der Kolonisation nicht hinrelcht. 
Begräbnisstätten. Die Art und Welse, Leichen 
zu begraben, ist in dem Gebiet von Neu-Mecklen- 
burg-Süd (soweit es heute bekannt ist) verschieden: 
entweder werden die Leichen, nachdem sie verwest 
sind, wieder exhumiert und die Knochen in die See 
oder in die Flüsse geworfen, oder man bringt sie in 
Höhlen, wo sie von den Gewässern nach Regen- 
güssen ins Innere der Höhle gespült werden. Die 
Scheu vor diesen Begräbnisstätten ist groß, da man 
sich vorstellt, daß die Geister der Abgeschiedenen 
(Taberau) in diesen Höhlen fortleben und den Men- 
schen Schaden bringen können. 
Verbreitung des Kanu. Es gibt an der Nord- 
ostküste Neu-Mecklenburgs, nördlich und südlich von 
Namatanai lange Strecken, wo es kein Kanu gibt. 
Man kann stundenweit gehen und viele Ortschaften 
passieren, ehe man in eine Gegend kommt, wo die 
Leute Kanus besitzen. Eine besondere Nötigung zur 
Schiffahrt liegt in den kanulosen Strecken nicht vor. 
Die Leute sind Ackerbauer, ihre Pflanzungen liegen 
landelnwärts an den Berghängen. Der Fischfang 
wird mit gutem Erfolg zur Zeit der Ebbe auf den 
weit ins Meer hinauslaufenden Riffen ohne Fahr- 
zeug betrieben. Zur Befriedigung der Handels- 
bedürfnisse genügen die Pfade und der Weg am 
Strande. Diese Erfahrung scheint mir gegen den 
östers verfochtenen Satz zu sprechen: „Ein boot- 
bauendes Küstenvolk kann, solange es an der Küste 
wohnt, den Gebrauch der Boote nicht verlernen. 
Sprache. 
In dem ganzen Gebiet von Neu-Mecklenburg- 
Süd, an der Nordostküste von Namatanai bis Ku-
	        
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