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gegriffenen Beispielen, die sich leicht vermehren
ließen, wie die Berührung mit der Kultur dem
Volkswohle unserer Eingeborenen nicht immer
zum Segen gereicht, und es erwächst uns daher
eine gewissermaßen moralische Pflicht, die sich
völlig mit der volkswirtschaftlichen deckt, durch er-
höhte volkshygienische Fürsorge die von uns ver-
urfachten Schädlichkeiten auszugleichen. Hier tritt
der Kolonialarzt in seine Pflichten. Ihre Er-
füllung ist nicht leicht. Ein altes, schönes Leitwort
für alles praktische ärztliche Handeln schreibt vor,
daß es eito, tuto ac incunde geschehen soll. Diese
Losung muß in der Kolonialhygiene vorläufig vor
so mancher Unabänderlichkeit kolonialer Verhält-
nisse verstummen. Sowohl die Schnelligkeit, als
die Sicherheit und Annehmlichkeit seiner Maß-
nahmen hängt nicht vom Arzte allein ab. Wäh-
rend er als Forscher und Alltagspraktiker fast un-
beschränkte Selbständigkeit genießt, wird er hier
zum ausführenden Organe seiner vorgesetzten Be-
hörde und zum Mitarbeiter der Verwaltungs-
stellen. Er bedarf oft der direkten tatkräftigen
Mithilfe der Verwaltung, weil er allein nicht zum
Ziele kommen würde. Gerade in der Kolonial=
hogiene zeigt sich, daß ein, wenigstens im Anfang
auf den Neger ausgeübter Druck dasjenige Mittel
ist, mit dem wir ihm am meisten nützen, und daß
wir mit Belehrungen allein bei ihm nicht aus-
krmmen. Ich habe oft genug beobachten können,
wie bei vielen Eingeborenenstämmen die ganze
Impffrage zunächst im Grunde genommen eine
Frage des Gehorsams, des Einflusses der Verwal-
ltung war. Je besser diszipliniert sie waren, um so
bereitwilliger leisteten sie der Aufforderung, zu den
Impftagen zu kommen, Folge. Später, für die
Intelligenteren unter ihnen sehr bald, stellt sich die
Einsicht vom Werte der anfänglich unter Nachdruck
ausgeführten Maßnahme ein. So kommen die
Küstenbewohner Kameruns und Togos schon seit
Jahren vielfach von selbst, um sich oder ihre
Kinder impfen zu lassen, weil sie den Wert der
Impfung erkannt haben. Dort, wo eine Epidemie
den Schwarzen vor Augen geführt hat, wie gerade
die Geimpften von ihr verschont bleiben, bricht sich
diese Erkenntnis natürlich besonders schnell Bahn.
Oder greifen wir auf die Lepra zurück. Es wird
nur in den seltensten Fällen gelingen, durch Be-
lehrung allein die Leute dahin zu bringen, daß sie
freiwillig ihre schwerkranken Leprösen genügend
isolieren. Hier wird immer eine Nachhilfe nötig
sein, und ehe der Schwarze die Vorteile der vom
Euroväer ihm aufgenötigten Absonderung der
Aussätzigen einsieht, würde es wahrscheinlich sogar
longer Zeit bedürfen, weil der Erfolg ja erst nach
Jahrzehnten für ihn in die Erscheinung treten
kann. Denn jede Neuerung, mit welcher der Euro-
päer dem Neger kommt, wird von ihm zunächst
danach bewertet, was für Vorteile oder Belästi-
gungen sie ihm bringt. Je rascher und gründlicher
er ihren Nutzen erfaßt oder je weniger er in seinem
Indifferentismus dabei gestört wird, um so eher
wird der Druck nachlassen können. Die ersten
Schlafkranken Dualas aufzufinden, hat ziemliche
Schwierigkeiten gemacht; neuerdings bringen die
Verwandten ihre schlafkranken Angehörigen zum
Teil schon von selbst zum Arzte, erstens weil sie
die Gefährlichkeit und Übertragbarkeit des Leidens
erkannt haben und die Patienten im Hospitale un-
schädlich aufbewahrt wissen, ferner aber auch, weil
sie die (wenn auch leider oft nur vorübergehenden)
Erfolge der Atoxylbehandlung sehen.
Man sollte eigentlich wohl annehmen, daß die
wirtschaftliche Hebung des Landes, dieses gemein-
same Endziel, das der Verwaltung ebenso am
Herzen liegen muß wie dem Volkshygieniker, auch
eine Übereinstimmung der Anschauungen und eine
Harmonie der Arbeit auf volksgesundheitlichem
Gebiete bedinge. Vielfach ist dem auch tatsächlich
so. Ich habe selbst viele und oft lang ausgedehnte
Dienstreisen aus verschiedenen Gründen in unseren
westafrikanischen Schutzgebieten machen müssen,
meist um der Impfung Eingang zu verschaffen
oder um einen üÜberblick über die in den betreffen-
den Gegenden herrschenden Volkskrankheiten als
Grundlage ihrer späteren Bekämpfung zu ge-
winnen. Mit großer Dankbarkeit werde ich
immer der weitgehenden Förderung gedenken, die
ich dabei namentlich in den beiden Bezirken Togos,
Atakpame und Sokode, fand, wo mir daran lag,
die an den Hauptverkehrswegen seßhaften Ein-
geborenen durchzuimpfen und so den Aus-
breitungsweg der Pockenepidemien zu unter-
binden. Hier wurde mir in oft überraschend voll-
kommener Weise meine Aufgabe erleichtert. Nicht
nur die äußeren Reisebedingungen, die an sich
schon viel zum Gelingen eines Auftrages im In-
lande beitragen, waren geebnet; ich fand auch die
Häuptlinge der Dörfer bei meinem Kommen
immer schon im voraus über den Zweck meines
Erscheinens nachdrücklich unterrichtet, ja im So-
kodebezirke standen bei meiner Ankunft an einem
größeren Zentrum stets schon die zur Lymph-
gewinnung erforderlichen Kälber im Stalle bereit.
Gute Dolmetscher, landeskundige Führer, Träger-
frage, Quartier usw., alles war bis ins kleinste
vorgesehen. So war es eine Lust, dort zu reisen
und Arzt zu sein. Aber es bedarf eines etwas er-
höhten Standpunktes mit einem freien, un-
getrübten, weitreichenden kolonialwirtschaftlichen
Gesichtsfelde, um die Bedeutung volkshygienischer
Bestrebungen voll einschätzen zu können; denn sie
unterscheiden sich in einigen recht wesentlichen
Punkten von anderen, die im Grunde auf dasselbe
Ziel gerichtet sind. Vor allem ist ihr Effekt kein