Full text: Geheime Mächte - Internationale Spionage und ihre Bekämpfung im Weltkrieg und heute.

Kriegsnachrichtendienst in den neutralen Ländern 63 
den so auch im Kriege. Es fehlte ihm das System. Auch machte sich 
die mangelnde Leitung infolge der weiten Entfernung vom Heimatland 
geltend. Dieser letztere Fehler wurde durch die „Mission Russe“ beim 
französischen Kriegsministerium, die eigentlich nichts weiter war als 
eine Vertretung des russischen Nachrichtendienstes in Paris, nach Mög- 
lichkeit ausgeglichen. Einen empfindlichen Verlust erlitten die Russen 
dadurch, daß der Militärattachs in Bern, Gurkow, sich durch seine 
allzu rücksichtslose Spionagetätigkeit gleich zu Beginn des Krieges so 
stark kompromittiert hatte, daß er seinen Posten verlassen mußte und 
durch den General Golowane, einen Neuling im Nachrichtendienst, er- 
setzt wurde. Der russische Nachrichtendienst wurde dadurch zersplittert, 
daß er gleichzeitig gegen Osterreich und Deutschland sich wandte, wäh- 
rend Frankreich und England sich lediglich auf Deutschland konzen- 
trierten. Da der Spionagedienst in Osterreich leichter war als in Deutsch- 
land, zum mindesten dort noch ungefährdeter ausgeübt werden konnte 
und ihm stammesverwandte Helfer zur Verfügung standen, so ging 
die russische Arbeit von der Schweiz hauptsächlich dorthin. Während 
in Deutschland kaum ein aus der Schweiz entsandter russischer Spion 
während des Krieges ermittelt werden konnte, wurden in Osterreich 
eine ganze Anzahl unschädlich gemacht. 
Die Vereinigten Staaten von Nordamerika hatten im ersten Teil 
des Krieges keinen Anlaß, sich an dem Nachrichtendienst der Entente- 
staaten zu beteiligen. Da sie neutral waren, hatten ihre amtlichen Ver- 
tretungen ohne weiteres Gelegenheit, einen Einblick in alles zu gewinnen, 
was die Regierung in Washington interessierte. Dazu kam, daß den 
Amerikanern in Deutschland durch die Regierung im Streben nach Auf- 
rechterhaltung der Neutralität weitgehendstes Entgegenkommen gezeigt 
wurde. Als Amerika im Jahre 1917 auf Seite der Entente in den 
Krieg eintrat, brauchte es sich nur an den bereits vorhandenen Nach- 
richtendienst seiner Verbündeten anzuschließen. Es war fühlbar, daß die 
Unterstützung der Kriegführung durch Amerika auch den Nachrichten- 
dienst belebte. Es schien, als ob die Allüerten jetzt erst ein zutreffendes 
Bild über Deutschland gewonnen hätten, als ob sie jetzt erst wüßten, 
wo sie besonders mit ihrem Nachrichtendienst und vor allem mit der 
Propaganda einzusetzen hatten. Dabei verzichtete Amerika nicht auf 
einen eigenen Nachrichtendienst. In der Schweiz leitete ihn der Militär- 
attaché in Bern nach unmittelbarer Anweisung aus dem Hauptaquartier
	        
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