Full text: Geschichte des Königreichs Sachsen mit besonderer Berücksichtigung der wichtigsten culturgeschichtlichen Erscheinungen.

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rettete hier von seinen auserlesenen Truppen kaum 200 Mann. 
Was in dieser verzweiflungsvollen Lage weiter thun? In Rußland 
war für Karl kein Bleibens mehr. Mit dem kleinen Reste seines 
Heeres eilte er der Türkei zu, wo ihm der Sultan, hocherfreut gegen 
diesen berühmten Helden das Gastrecht üben zu können, eine sichere 
Zufluchtsstätte gewährte. Unerklärlicherweise dehnte Karl seinen 
Aufenthalt in der Türkei auf 5 Jahre aus. 
Während der sonst so gefürchtete schwedische „Löwe“ hier entkräftet 
und gefesselt weilte, schöpften seine Feinde neuen Muth zur gänzlichen 
Besiegung desselben. Zunächst trat in Polen eine gänzliche Wendung 
der Dinge ein. Im August 1709 brach unser Kurfürst an der 
Spitze von 15000 Mann nach Polen auf, um sich wieder in Besitz 
des ihm verloren gegangenen Thrones zu setzen. Mit ziemlicher 
Gewißheit konnte er auf einen günstigen Erfolg hoffen, da ihn eine 
mächtige Partei in Polen zur Rückkehr aufforderte und da abermals 
Dänemark, Rußland und diesmal auch Preußen auf seiner Seite standen. 
König Stanislaus ergriff die Flucht. In Polen konnte dieser 
nichts mehr schaffen, aber desto mehr hoffte er in Sachsen ausrichten 
zu können. Mit 9000 Mann gedachte er in unser Vaterland 
einzufallen. Diese Schreckensbotschaft setzte die Einwohner in neue 
Angst. Gegen ein Heer hätte Stanislaus nicht zu kämpfen gehabt, 
da sich dasselbe in Polen befand; aber so ganz wehrlos sollte er 
unser Vaterland doch nicht vorfinden. Es wurde nämlich ein Aufgebot 
an die waffenfähigen Männer erlassen, welche als Landsturm dem 
eindringenden Feinde Widerstand leisten sollten. Mit Aexten, mit Heu— 
gabeln, mit Spießen bewaffnet, standen 84 000 Mann bereit, einen 
Kampf mit 9000 Soldaten aufzunehmen. Zum Glück für das geängstigte 
Land ließ es Stanislaus bei der bloßen Drohung bewenden. Der 
Landsturm konnte sich wieder auflösen und seiner Hantierung nachgehen. 
Zwar sah unser Kurfürst sein Haupt wieder mit Polens Königs- 
krone geschmückt, allein sehr bald schwankte sie wieder; — und wer 
rüttelte diesmal an derselben? Die Polen. (Im November) 1714 
erschien nämlich Karl XII. ganz unerwartet wieder unter seinen 
Schweden. Wie mit einem Zauberschlage entzündete seine Gegenwart 
in den Reihen seiner Krieger den alten Muth aufs neue, und zum 
Unglück für Friedrich August schöpften auch die Anhänger des ver- 
triebenen Königs Stanislaus neue Hoffnungen. Jetzt galt es, ihre 
Partei soviel als möglich zu verstärken. Zu diesem Zwecke hatten sie 
sich ein höchst wirksames Mittel ausgesonnen. Seit Friedrich Augusts 
Thronbesteigung, namentlich aber seit 1709, hatte Polen viel sächsische 
Truppen zu erhalten. Die Erhaltung einer sächsischen Armee, meinten 
Friedrich Augusts Gegner, ist für unser Land eine große Last. König 
Stanislaus führt uns keine fremden Truppen zu; wer sich für ihn 
erklärt, hilft unser Land von fremden Truppen befreien. Dies wirkte.
	        
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