Full text: Geschichte des Königreichs Sachsen mit besonderer Berücksichtigung der wichtigsten culturgeschichtlichen Erscheinungen.

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erwachte die heißeste Sehnsucht nach seinem Heimatslande. Er schrieb 
deshalb seinen Eltern: „Ich wäre lieber heute als morgen in Sachsen. 
Ich würde die Reise dahin selbst im härtesten Winter nicht scheuen. 
Aber ich mag durchaus nicht Ihnen zur Last fallen. Ich will Ihrem 
Alter nützlich, nicht beschwerlich werden! Deshalb komme ich nicht 
eher, bis ich ein gewisses Brot vor mir sehe.“ 
Im Jahre 1763 trat, wie wir oben gesehen, ein zweimaliger 
Regierungswechsel ein. Die Kurfürsten Friedrich August II. und 
Friedrich Christian gingen in einem und demselben Jahre mit Tode ab. 
Die verwitwete Kurfürstin Marie Antonie, die Mutter Friedrich 
August des Gerechten, war allgemein als Freundin und Beschützerin 
der Künste überhaupt, namentlich aber als tiefe Kennerin der Tonkunst 
bekannt. Dieser Fürstin wollte Naumann ein von ihm componirtes Musik- 
stück übersenden und dies als das wirksamste Mittel seiner Empfehlung 
benutzen. Von ihrem Urtheile allein wollte er sein künftiges Schicksal 
abhängig machen. Die Composition kam glücklich in Blasewitz an. 
Um zu zeigen, welche Macht in der Mutterliebe liegt, sei es mir gestattet, 
der Art und Weise ausführlich zu gedenken, mit welcher Frau Naumann 
die Arbeit ihres Sohnes unmittelbar an die Kurfürstin gelangen ließ. 
Eines Sonntags früh eilte sie, mit der Composition ihres Sohnes 
in der Hand, nach Dresden und stellte sich auf den Gang im Schlosse, wo 
die Fürstin vorüber zu gehen pflegte. Als die Kurfürstin erschien, raffte 
Frau Naumann alle ihre Kräfte zusammen, trat einige Schritte vor, hielt 
die Arbeit ihres Sohnes mit zitternder Hand fest und sprach ungefähr 
Folgendes: „Sie wage es hier, Ihrer Königlichen Hoheit?) eine Bittschrift 
und ein Geschenk zu überreichen. Man wisse gar wohl, wie viel Musik die 
gnädige Kurfürstin selbst verstehe, diese hier sei die Arbeit ihres Sohnes, 
der als ein armer ländlicher Bursche, vor sieben Jahren schon, nach Italien 
gegangen sei, ganz ohne Unterstützung sich dort nun, Gott Lobl fortgeholfen 
und es soweit gebracht habe, daß schon große Meister ihn lobten. Sie hoffe 
daher, es sei, was er hier gemacht hätte, doch wohl nicht unwerth, daß Ihre 
Königliche Hoheit wenigstens einen gnädigen Blick drauf würfen!“ 
Freundlich lächelnd hatte die Kurfürstin die beherzte Landfrau aus- 
sprechen lassen. Sie ergriff die Composition und warf einige prüfende Blicke 
in dieselbe, worauf sie bemerkte: „Nun wohl, gute Frau, ich nehme Ihr 
Geschenk an; und wenn Sie heute über acht Tage wieder herkommen will, 
so soll Sie's aufrichtig von mir erfahren, wie mir die Arbeit Ihres Sohnes 
gefallen hat.“ 
Acht Tage später finden wir Frau Naumann wieder an derselben Stelle. 
Als die Kurfürstin erschien, erzitterte das Mutterherz so gewaltig vor freudiger 
und doch auch banger Erwartung, daß sie gar nicht abwartete, bis die Kur- 
sürstin sie anredete. Sie trat einige Schritte vor und sagte: „Nicht wahr, 
Königliche Hoheit, die Musik, die ich gebracht habe, war schön“ 
„Das ist sie, erwiderte die Kurfürstin mit sanftem Ernst, sie ist recht 
schön. Nur zweifle ich gar sehr, daß sie Ihres Sohnes eigene Arbeit sei.“ 
*7) In der Quelle, welcher ich diesen Vorgang entnommen, heißt es: 
Königliche Hoheit. Ich habe diese Anrede beibehalten, obgleich die Kurfürstinnen, 
sowie die Kurfürsten, welche nicht polnische Könige waren, kurfürstliche 
Durchlaucht genannt wurden.
	        
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