Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwölfter Jahrgang. 1871. (12)

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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
präsidium selbst im norddeutschen Reichstage jede Abänderung an den Ver- 
trägen auf das entschiedenste perhorreseirt hat. Es läßt sich aber auch ein 
weiterer Bund nicht als practisch durchführbar denken, in welchem Bayern 
den einen und alle Übrigen Staaten den anderen Factor bilden sollen; ja man 
würde es nicht einmal dem deutschen Reiche verübeln können, wenn es trotz 
aller im Jahr 1870 von Bayern im gemeinsamen Interesse geleisteten Bundes- 
hilfe unter den geänderten Verhältnissen wegen Bayerns allein die Abnor- 
mität eines eigenen Zollparlaments, das schon bisher nur ein Nothbehelf 
war, und von jetzt an vollends zur Caricatur würde, länger als bis zum 
Ablaufe der gegenwärtigen Vereinsperiode nicht fortdauern ließe. Am aller- 
wenigsten würde man aber in Berlin sich dazu verstehen, deßhalb weil es der 
bayerischen Kammer der Abgeordneten nicht gefallen hat, den Einigungsvertrag, 
welcher doch Bayern allen übrigen Staaten gegenüber eine Reihe nicht unbe- 
deutender Vorrechte einräumt, zu acceptiren, dem Institut des Zollparlaments 
noch eine weitere Fortbildung zu geben. Bayern muß entweder mit den ihm 
zugestandenen Prärogativen in das Reich eintreten, oder sich darauf gefaßt 
machen, gelegentlich auch aus dem Zollvereine scheiden zu müssen. Wenn in 
dem von dem Hrn. Referenten an den Ausschuß erstatteten Gutachten die 
Hoffnung angedeutet ist, daß Bayern im Zustand solcher Isolirung eine ver- 
mittelnde Rolle zwischen dem deutschen Reich und Oesterreich übernehmen 
könnte, so glauben wir dem entgegen, daß vielmehr seine Existenz dadurch 
ernstlich bedroht wäre. Nicht nur würde die Lage der von dem Gebiete 
des deutschen Reichs rings eingeschlossenen Pfalz auf die Länge eine uner- 
trägliche werden, sondern es würde auch Bayern dasjenige Land in Europa 
sein, welches weniger als irgend ein anderes einen ausreichenden Grund für 
sein Bestehen als selbständiger Staat anzuführen vermöchte, und es würde 
sein Gelüste dazu mindestens mit seinem wirthschaftlichen Ruine zu bezahlen 
haben. Die Festhaltung des deutschen Einheitsgedankens sowohl als die ge- 
wissenhafte Fürsorge für Bayerns Interesse legen uns die Pflicht auf, für 
die Annahme des Vertrags zu stimmen. Er gibt uns die Bürgschaft des 
Friedens und damit der gedeihlichen Entwickelung unserer wirthschaftlichen 
Existenz. Die Bundesverfassung wird die freiheitliche Entwickelung nicht stören, 
weil die im Reichstag vereinigten Vertreter des gesammten deutschen Volkes 
die Mittel finden werden, dieser Entwickelung Bahn zu bereiten. Bayern, für 
welches, wenn es den Vertrag ablehnt, eine trübe Zeit voraussichtlich herein- 
bricht, wird, falls es als einflußreiches Glied des deutschen Neichs an der Aus- 
bildung der Institutionen desselben im Sinne der Einheit und Freiheit nach 
Kräften mitarbeitet, von dem Beginne des neuen Reichs trotz aller jetzt ob- 
schwebenden Bedenken einst noch die Aera seines Wohlstandes und seiner Zu- 
friedenheit datiren.“ 
12. Jan. (Deutsch-franz. Krieg.) Prinz Friedrich Karl nimmt Le 
 
Mans und der mit ihm operirende Großh. v. Mecklenburg dringt 
nordwärts von Le Mans bis St. Corneille vor. Gen. Chanch mit 
der franz. Westarmee zieht sich mit großen Verlusten auf Alencon 
und Laval zurück. 
„ (Deutsch-fran z. Krieg.) Die noch in Paris gebliebenen 
Mitglieder des diplomatischen Corps beschweren sich in einer Note an 
Bismarck 
darüber, nicht „durch eine dem Bombardement vorausgehende Ankündigung 
in den Stand gesetzt worden zu sein, ihre Landesangehörigen gegen die Ge- 
fahren derselben zu schützen“ und verlangen, „daß den anerkannten Principien 
und Gebräuchen des Völkerrechts gemäß Maßregeln ergriffen werden, welche 
ihren Landesangehörigen gestatten, sich und ihr Eigenthum in Schutz zu bringen.“
	        
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