Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

156 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (November 27.) 
schaften, um nun freiwillig sich einem gemeinsamen Impulse anzuschließen 
und im Waffengebrauch das Richtige zu thun? Ich konnte dieses Beispiel 
auch auf andere Waffen ausdehnen, ich will mich aber damit begnügen, dies 
als meine innerste Ueberzeugung auszusprechen: es gibt keine andere Nation, 
die so viel Chancen für den nächsten Krieg in dieser Beziehung hat, wie die 
deutsche. (Bravo!) 
Man kann, wenn man Streitkräfte vergleicht, nicht umhin, die Be— 
völkerungszahlen der Nationen in Rechnung zu stellen. Denn wenn ich ein— 
mal mit Ziffern rechnen muß — und für den letzten Teil des Krieges ist 
es unvermeidlich, da muß ich die Menschen alle gebrauchen; aber ich kann 
sie nicht alle auf einmal gebrauchen — wenn ich also mit solchen Ziffern 
rechnen muß, so muß ich zunächst fragen: wie steht es denn mit der Be- 
völkerungsziffer der Staaten:? Und da hat man die Frage aufgeworfen: wie 
steht es denn nun mit dem Dreibunde? wird der Dreibund für den Fall — 
der, er mag noch so unwahrscheinlich sein, doch immerhin ins Kalkül ge- 
zogen werden muß —, daß unser östlicher Nachbar unserem westlichen Nach- 
bar nicht mehr in so friedlicher Weise wie in Kronstadt die Hand reicht, 
stark genug sein? Ich glaube, wir können in dieser Hinsicht ruhig sein. 
Was die beiden anderen Staaten von ihrer Bevölkerung auf europäischem 
Boden haben, wird ungefähr dasselbe sein, was die drei Staaten zusammen 
zählen. Es ist also in dieser Beziehung eine gewisse Basis für eine Art 
von Gleichgewicht hergestellt. Aber auch in dieser Beziehung habe ich keine 
Sorge; denn wir Deutsche haben einen Faktor, der uns hoffen läßt, daß, 
wenn es not wird, wir unsere Armee verstärken können: die steigende Be- 
völkerungsziffer alle Jahre werden in Deutschland mehr Männer geboren 
als im Jahr vorher, alle Jahre kommen in Deutschland mehr Leute zur 
Aushebung — gewährt die Möglichkeit, die Armee zu steigern, und ich halte 
es nicht für ausgeschlossen, daß im nächsten Winter die Regierungen mit 
diesem hohen Hause in Verhandlungen darüber eintreten werden, wie diese 
steigende Bevölkerungsziffer ausgenutzt werden kann, um auch unsere Wehr- 
kraft entsprechend zu steigern. 
Es war das nun die Zahlenseite, in Bezug auf die oft eine Beun- 
ruhigung Platz greift. Es gibt aber noch ein zweites Moment, aus dem 
der Laie leicht Beunruhigung saugt: das sind die Dislokationen. Man hat, 
während Frankreich seine Armee dislozierte, das bei uns ziemlich ruhig hin- 
genommen; man beschäftigte sich noch nicht mit dieser Frage. Seit aber 
auch unser östlicher Nachbar angefangen hat, seine Truppen mehr nach Westen 
zu schieben, beunruhigt man sich über jedes Regiment, jede Division, die 
man vorschiebt. Meist geht eine solche Division wochenlang in den Zeitungen 
umher. Zuerst wird sie erwähnt dort, wo sie wegkommen soll, dann, wo 
sie hinkommen soll, dann kommen die einzelnen Regimenter wieder hervor 
und schließlich hat ein Teil der Deutschen die Ueberzeugung gewonnen, daß 
die russische Armee uns so nahe gekommen wäre, daß darin ein Grund zu 
ernsten Beunruhigungen läge. Es ist nicht zu verkennen, daß die Heeres- 
verwaltung allen Anlaß hat, das zu thun, was sie thun kann, um, wenn 
es zum Kriege mit Rußland kommt, schnell zur Hand zu sein. Aber ich 
möchte den Herren, die in dieser Beziehung zur Beunruhigung neigen, den 
Vorschlag machen, sich einmal eines Zirkels und einer Karte zu bedienen, 
einer solchen Karte, wo die Garnisonen eingetragen sind. Sie können aus 
jedem genealogischen Kalender die Standquartiere der Generalkommandos in 
Deutschland und in Rußland entnehmen. Wenn Sie dann nun die russi- 
schen Truppen nehmen, die zu der Armee gehören, die an unserer Grenze 
steht, so werden Sie wahrscheinlich von der Garnison bis zur Grenze einen 
Raum bis zu 300 Kilometern bekommen. Nehmen Sie diesen Raum in den
	        
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