Klopstock. Winckelmann. 95
funden, schuf sich hier endlich eine würdige poetische Form; die ernüch—
terte Sprache gewann Schwung, Adel, Kühnheit; die ganze Welt des
Erhabenen wurde der deutschen Phantasie von Neuem aufgethan. Merk—
würdig schnell begriff die Nation, ein neues Zeitalter ihrer Bildung sei
angebrochen. Ein Schwarm von jungen Talenten drängte sich um den
Sänger, der auch in seiner persönlichen Haltung die Hoheit der neuen
Kunst stattlich vertrat, und erging sich in der naiven Selbstüberhebung,
die allen kräftig aufsteigenden Epochen eigenthümlich ist, stellte das Epos
des deutschen Meisters über Homer, seine Oden über Pindar. Eine
phantastische Schwärmerei für das Vaterland berauschte diese Dichter—
kreise und ist von da, langsam aber mächtig fortwirkend, bis in die
untersten Schichten des deutschen Mittelstandes hinabgedrungen. Wie
jede Nation, wenn sie in einem Wendepunkt ihres Daseins eintritt, aus
den großen Erinnerungen der heimischen Vorzeit frischen Muth zu schöpfen
pflegt, so wendete sich die Sehnsucht jener Tage der einfältigen Größe
der germanischen Urzeit zu: nur im Schatten deutscher Eichenhaine, nur
in dem Lande Hermann's und der Barden sollten Wahrheit und Treue,
Kraft und Gluth ursprünglicher Empfindung heimisch sein. Wie jubelte
das neue Deutschland, als der Sänger des Messias die junge bebende
Streiterin, die deutsche Muse aufrief, den Wettlauf zu wagen mit der
Dichtung Englands.
Unterdessen erschloß Winckelmann unserem Volke die Erkenntniß der
antiken Kunst und fand die einfältig tiefe Wahrheit wieder, daß die Kunst
die Darstellung des Schönen ist. Er schuf zugleich die ersten formvoll—
endeten Werke der neuen deutschen Prosa. Klar, tief und weihevoll er—
klang die Rede dieses Priesters der Schönheit, mächtige Leidenschaft und
große Gedanken zusammengedrängt in maßvoll knapper Form; durch „die
erleuchtete Kürze“ seines Stiles wurde die formlos breite Redseligkeit der
gelehrten Pedanterei zuerst überwunden. Seine Schriften gaben der
jungen Literatur die Richtung auf das classische Ideal. Wetteifernd, in
leidenschaftlichem Entzücken, strebten Dichtung und Wissenschaft sich zu
erfüllen mit dem Geiste des Alterthums; und da der Mensch nur schältzt
was er überschätzt, so wollte dies schönheitsfrohe Geschlecht, berauscht von
der Freude der ersten Entdeckung, in der antiken Gesittung nichts sehen
als reine Menschlichkeit, Gesundheit, Natur. Den Romanen war eigent-
lich nur die altrömische Welt wahrhaft vertraut geworden; die Deutschen
zog ein Gefühl der Wahlverwandtschaft zu dem hellenischen Genius.
Ihnen zuerst unter den modernen Völkern ging das volle Verständniß
des griechischen Lebens auf, und als ihre neue Bildung gereift war,
durfte ihr Dichter frohlockend rufen: „Aber die Sonne Homerss, siehe,
sie lächelt auch uns!“ Durch die Einkehr in die Formenwelt des Alter-
thums erlangte die so oft arm und hart gescholtene deutsche Sprache
nicht nur einen guten Theil ihres alten Reichthums wieder; sie zeigte