Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

20 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
unserer Geschichte war der Adel mächtiger, niemals schädlicher für das Leben 
der Nation. Der Fürstenstand vergaß seine alte landesväterliche Sorgsam- 
keit, seit das gleißende Vorbild des bourbonischen Königthums den kleinen 
Herren den Sinn bethörte. Die größeren Höfe mißbrauchen das neu erwor- 
bene Recht der Bündnisse, drängen sich vorlaut, vielgeschäftig ein in die 
Händel der europäischen Mächte, bilden glänzende Armeen mit Marschällen 
und Generalen, und glücklich wer einen Admiral zu halten vermag wie der 
pfälzische Kurfürst auf seinen Rhein-Zollschiffen. Alle, die großen wie die 
kleinen, wetteifern in prahlerischer Pracht mit dem großen Ludwig; das 
ärmste Land Westeuropas überstrahlt bald alle Nachbarn durch die Unzahl 
seiner prunkenden Fürstenschlösser. Kein Reichsgraf, der sich nicht sein Ver- 
sailles, sein Trianon erbaute; im Schloßgarten von Weikersheim bewachen 
die Standbilder der Welteroberer Ninus, Cyrus, Alexander und Caesar 
den Eingang zu dem Herrschersitze des Hohenlohischen Reiches. Der deutsche 
Kleinfürst fand weder in dem Pflichtgefühle der Monarchie noch in der 
Standesgesinnung eines politischen Adels einen sittlichen Halt; Mancher 
empfand voll Unmuth den Fluch eines zwecklos leeren Daseins, Mancher 
vertobte seine Kraft in frecher Unzucht und grausamen Sultanslaunen. 
Für ein Zusammenwirken des Adels mit dem Bürgerthum, für 
ein englisches Unterhaus bot der alte deutsche Staat keinen Raum. Der 
Städtebund der Hansa war zerfallen seit die geeinte nationale Macht der 
Völker des Westens die beiden Indien erobert hatte; jene glorreiche Flagge, 
die im Mittelalter auf allen nordischen Meeren herrschte, ließ sich kaum 
mehr blicken in dem neuen transatlantischen Verkehre. Die Nation ward 
dem Meere so fremd, wie ihr Kaiserhaus. Unter allen Schriftstellern un- 
seres achtzehnten Jahrhunderts ist nur Einer, der Seeluft geathmet hat 
und die befreiende Macht des völkerverbindenden Handels zu schätzen weiß: 
Justus Möser. Wie ein Hohn klang in der stockigen Luft dieses binnen- 
ländischen Stilllebens der frohe Schifferspruch, der noch am Hause Seefahrt 
in Bremen zu lesen stand: navigare necesse est, vivere non necesse. 
Englische und holländische Schiffe führten die Waaren der Colonien zur 
Elbe und den Rhein hinauf: fast allein mit seiner Leinwand und seinen 
Metallwaaren beschickte der deutsche Gewerbefleiß noch den Weltmarkt. 
Keine der altberühmten Städte des Reichs vermochte ihre historische 
Größe zu behaupten; die Trave verödete, der oberländische Handel verfiel, 
die Lübecker Baugeschichte endete mit der Gothik, die Augsburger mit dem 
Zeitalter der Renaissancc. Nur an einigen jüngeren Handelsplätzen, in 
Hamburg und Leipzig sammelte sich wieder langsam ein neuer Verkehr. Die 
alten Reichsstädte verschlossen sich still hinter ihren Wällen, ängstlich das 
Stadtrecht und den Zunftbrauch hütend, kleinlaut auf den Reichstagen, 
voll Mißtrauens gegen die ausgreifende Gewalt der fürstlichen Nachbarn 
ringsum; aus langen Jahrzehnten meldet kaum eine dürftige Kunde, daß 
diese stolzen Communen noch lebten. Und da auch in dem bedienten-
	        
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