Scharnhorst's Freunde. 291
Preußen der Neuerer mit dem Dünkel der alten Generale zu kämpfen. Als
ihn jetzt das Vertrauen des Königs, die allgemeine Stimme der Armee
an die Spitze des Heerwesens stellten, da mußte er fünf Jahre lang das
finstere Handwerk des Verschwörers treiben, unter den Augen des Feindes
für die Befreiung rüsten. So lernte er jedes Wort und jede Miene zu be—
herrschen, und der einfache Mann, der für sich selber jeden Winkelzug ver—
schmähte, wurde um seines Landes willen ein Meister in den Künsten der
Verstellung, ein unergründlicher Schweiger, listig und menschenkundig. Mit
einem raschen forschenden Blicke las er dem Eintretenden sofort die Hinter—
gedanken von den Augen ab, und galt es ein Geheimniß des Königs zu ver—
stecken, dann wußte er mit halben Worten Freund und Feind auf die falsche
Fährte zu locken. Die Offiziere sagten wohl, seine Seele sei so faltenreich
wie sein Gesicht; er gemahnte sie an jenen Wilhelm von Oranien, der einst
in ähnlicher Lage, still und verschlagen, den Kampf gegen das spanische
Weltreich vorbereitet hatte. Und wie der Oranier, so barg auch Scharnhorst
in verschlossener Brust die hohe Leidenschaft, die Kampflust des Helden; sie
hatte ihm während des jüngsten Krieges die Freundschaft des thatenfrohen
Blücher erworben. Er kannte die Furcht nicht, er wollte nicht wissen, wie
sinnbethörend die Angst nach einer Niederlage wirken kann; in den Kriegs-
gerichten war sein Urtheilsspruch immer der strengste, schonungslos hart gegen
Zagheit und Untreue. Räthselhaft und doch harmonisch verbanden sich in
dieser großen Seele kleinbürgerliche Schlichtheit und weltumspannender
Weitblick, Friedenssehnsucht und Kriegsmuth, menschenfreundliche Herzens-
weichheit und die dämonische Kraft des Nationalhasses. Niemand viel-
leicht hat die Bitterniß jener Zeit in so verzehrenden Qualen empfunden
wie dieser Schweigsame; Tag und Nacht folterte ihn der Gedanke an die
Schande seines Landes. Alle nahten ihm mit Ehrfurcht, denn sie fühlten
unwillkürlich, daß er die Zukunft des Heeres in seinem Haupte trage.
Unter den Männern, die ihm bei der Reorganisation des Heeres
zur Hand gingen, sind vier gleichsam die Erben seines Geistes geworden,
so daß Jeder einen Theil von der umfassenden Begabung des Meisters
überkam: die Feldherrennaturen Gneisenau und Grolman, der Organi-
sator Boyen, der Gelehrte Clausewitz — alle Vier, wie Scharnhorst selber,
arm, genügsam, bedürfnißlos, ohne jede Selbstsucht allein der Sache
dienend und bei allem Freimuth tief innerlich bescheiden, wie es dem be-
gabten Soldaten natürlich ist; denn das einsame Schaffen des Künstlers
und des Gelehrten verführt leicht zur Eitelkeit, der Soldat wirkt nur als
ein Glied des großen Ganzen und kann nicht zeigen was er vermag, wenn
ihn das unerforschliche Schicksal nicht zur rechten Zeit an die rechte Stelle
führt. Allzu bescheiden nannte sich Gneisenau selber nur einen Pygmäen
neben dem Riesen Scharnhorst. Ihm fehlte die schwere Gelehrsamkeit des
Meisters und er empfand, gleich so vielen Männern der That, die Lücken
seines Wissens wie ein Gebrechen der Begabung; dafür besaß er in weit
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