Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Deutsches Weltbürgerthum. 23 
lands. Der particularistische Dünkel, die Ueberhebung des Nachbarn über 
den nachbarlichen Stammgenossen trat nirgends trotziger auf als in den 
deutschen Provinzen ausländischer Fürsten. Mit Stolz pries der Holste 
seinen Danebrog; der Stralsunder freute sich des Schlachtenruhmes der 
drei Kronen und bemitleidete den brandenburgischen Pommern, dessen 
Landesherr nur einen deutschen Kurhut trug; die Nachkommen der Er— 
oberer des Weichsellandes, die stolzen Geschlechter der Hutten, Oppen, 
Rosenberg nahmen polnische Namen an und spotteten, froh der sarma— 
tischen Adelsfreiheit, über den märkischen Despotismus im Herzogthum 
Preußen. 
Dabei lebt in dem thatenfrohen Volke unversieglich die alte aben— 
teuernde Wanderlust. Ungezählte Schaaren deutscher Reisläufer strömen 
in alle Lande, drei volle Jahrhunderte hindurch, solange das Söldner— 
wesen blüht. Deutsche Hiebe klingen auf jedem Schlachtfelde Europas, 
vor den Mauern von Athen wie auf Irlands grüner Insel. Die Fahnen 
Frankreichs, Schwedens, Hollands und der kaum minder undeutsche 
kaiserliche Dienst gelten für adlicher als das öde Einerlei des heimischen 
Garnisonlebens: auf dem Sterbebette ermahnt der alte deutsche Degen— 
knopf seine Söhne, dem Wappenschilde des Hauses Ruhm und Reichthum 
zu erwerben im Dienste fremder Kronen. Die deutschen Regimenter 
Bernhard's von Weimar bildeten den Kern jener unüberwindlichen Heere, 
welche Turenne und Condé zum Siege führten; nur in deutscher Schule 
lernten die Nachbarn uns zu schlagen. Und dazu die lange Reihe deut— 
scher Staatsmänner, Aerzte, Gelehrten und Kaufleute in der Fremde: 
kraftvolle Wildlinge vom deutschen Stamme und allesammt verloren für 
das Vaterland. Ein unheimlich großartiger Anublick: diese titanische 
Ueberkraft eines von den Fremden getretenen Volkes. Jede Darstellung 
unserer Geschichte bleibt Stückwerk, wenn sie dies über die weite Welt 
verzweigte Wirken deutschen Geistes und deutscher Waffen nicht würdigt. 
Um dieselbe Zeit, da Frankreich die Westmarken des heiligen Reichs er- 
oberte, schuf Peter der Große durch deutsche Kräfte den neuen russischen 
Staat. Auch die Fürstenhäuser wurden von dem nationalen Wander- 
triebe ergriffen; jeder ehrgeizige deutsche Hof trachtete nach fremden 
Thronen, und das Kaiserhaus begünstigte dies Bestreben um lästige 
kebenbuhler aus dem Reiche zu entfernen. Endlich sielen alle Kronen 
Europas, allein Piemont und die bourbonischen Staaten ausgenommen, 
in die Hände deutscher Fürstengeschlechter; aber diese glänzende Herren- 
stellung unseres hohen Adels verstärkte nur das Gewicht der centrifugalen 
Kräfte im Reiche, kettete den deutschen Staat nur um so fester an den 
Willen des Auslands. 
Ueber diesem verrotteten Gemeinwesen lag der Zauber einer tausend- 
jährigen Geschichte. Eine niemals unterbrochene Ueberlieferung verband 
das Heute mit dem Gestern. Der Kenner der Reichsgeschichte war zugleich
	        
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