Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Die Erhebung Spaniens. 323 
vertrauten Kreise: müsse es sein, so denke er den Krieg selbst in den 
Wüsten Sibiriens wieder aufzunehmen. Doch zunächst wollte er die 
Früchte des Tilsiter Bündnisses ernten, sein Reich durch Finnland und 
die Donauprovinzen verstärken; bei günstigem Glück hielt er, nach den 
unbestimmten Zusagen Napoleon's, selbst die Vernichtung des türkischen 
Reichs für möglich. Ein Meister in der Kunst sich selber zu belügen fand 
er der Vorwände genug, die ihm den kläglichen Entschluß mundgerecht 
machten; zudem befürchtete er, ein vorzeitiger Krieg gegen Frankreich könne 
die vollständige Wiederherstellung von Polen herbeiführen. So blieb er 
denn vorläufig im Fahrwasser der französischen Allianz und begann den 
Krieg gegen Schweden. 
Napoleon ließ ihn gern gewähren, und benutzte den Einmarsch der 
Russen in Finnland um seinerseits in Portugal einzurücken und diesen 
wichtigen Brückenkopf Englands in seine Gewalt zu bringen. Seine Briefe 
an Alexander flossen über von Schmeicheleien und unbestimmten Ver- 
heißungen: die Welt sei groß genug für sie Beide, nichts liege ihm mehr 
am Herzen als Rußlands Ruhm, Wohlfahrt und Vergrößerung; wenn 
die beiden Freunde vereinigt zum Bosporus vordrängen, so werde dieser 
Schlag bis nach Indien widerhallen und England zur Unterwerfung 
zwingen. Sobald aber der Czar seine Hoffnungen auf den Besitz der 
Donauprovinzen schärfer aussprach erhob Napoleon Bedenken und for- 
derte als Gegenleistung eine nochmalige Verstümmelung des preußischen 
Staates. Alexander konnte sich nicht verbergen, daß diese unheimlichen 
Pläne für Rußland ebenso bedenklich waren wie für Deutschland. Später 
erhielt man in Petersburg auch Nachrichten über die Umtriebe der fran- 
zösischen Agenten im Oriente; in Teheran wie in Constantinopel suchte 
Frankreich die Pläne seines nordischen Verbündeten insgeheim zu durch- 
kreuzen. Der Tilsiter Bund war durch dieselbe Kraft, die ihn begründet, 
durch die frivole Ländergier bereits in seinen Fugen erschüttert. 
Da wurde der Imperator durch eine selbstverschuldete Bedrängniß 
genöthigt, das wankende Bündniß nochmals zu befestigen. Die Welt hatte 
sich längst darein gefunden, in jedem neuen Monat von neuen Gewalt- 
streichen zu vernehmen. So erfuhr sie jetzt Schlag auf Schlag, daß Ost- 
friesland mit Holland vereinigt worden, daß Toscana dem französischen 
Kaiserreiche, die adriatischen Provinzen des Kirchenstaats dem Königreich 
Italien einverleibt seien, daß Napoleon's Truppen in Rom eingerückt, daß 
sie in Portugal eingebrochen waren und das Haus Braganza aufgehört 
hatte zu regieren. Aber fast unglaublich klangen selbst dieser des Grauens 
gewohnten Zeit die entsetzlichen Nachrichten, die im Mai 1808 aus dem 
Schlosse Marrac bei Bayonne kamen: wie Napoleon die spanischen Bour- 
bonen zu sich gelockt, wie er dann den Vater und den Sohn gleich 
wüthenden Bestien auf einander gehetzt, Beide zur Abdankung gezwungen 
und seinen Bruder Joseph auf den spanischen Thron erhoben hatte. Er 
21*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.