Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

354 I. 3. Preußens Erhebung. 
junger Staatsmann, beschwor seine Hansestädte sich dem Rheinbunde an- 
zuschließen, der doch bald zum germanischen Bunde werden müsse; nur 
so könnten die Hanseaten wieder Deutsche sein! 
Wer das Schalten des Allgewaltigen scharf beobachtete, mußte freilich 
jetzt schon erkennen, daß diese Vasallenlande allesammt bestimmt waren, 
dereinst unmittelbar in „die große Familie“ des Kaiserreichs aufgenommen 
zu werden. Kaum waren die alten Fürsten entthront, so begann der 
Unersättliche seine eignen Brüder zu berauben, die neu geschaffenen Staaten 
wieder zu zerstören. Kein Jahr verging, das nicht den Staaten des 
Rheinbundes neue Grenzverschiebungen brachte. Der Erbe der Revolution 
betrachtete, genau wie die Cabinetspolitik des alten Jahrhunderts, den 
Besitz von Land und Leuten nur als eine persönliche Versorgung für 
seine Angehörigen und Getreuen; als er das Großherzogthum Berg ver- 
größerte, sagte er amtlich, das geschehe um der Prinzessin Karoline einen 
angenehmen und vortheilhaften Dienst zu erweisen. Was hinderte, solche 
Eintagsgebilde politischer Laune wieder nach Laune zu zerstören? Ein 
Zufall war es doch nicht, daß Napoleon die wichtige Festung Erfurt im 
Herzen Deutschlands für sich behielt und sie niemals einem seiner Sa- 
trapen anvertrauen wollte. In den Pariser Salons war man über das 
künftige Schicksal der Rheinbundstaaten nicht im Zweifel und begrüßte 
die Unterthanen des Königs Jerome, wenn sie an die Seine kamen, 
scherzend als Français futurs. 
Die Stämme im Süden und Westen Deutschlands ließen sich von 
solchen Befürchtungen nicht anfechten. Es war in der Ordnung, daß 
der Code Napoleon von tüchtigen deutschen Juristen, wie Daniels und 
Strombeck wissenschaftlich bearbeitet wurde; aber auch das Staatsrecht 
des Rheinbundes, das immer ein todter Buchstabe blieb, reizte den Scharf- 
sinn unterthäniger deutscher Gelehrten, wie Winkopp und Karl Salomo 
Zachariä. Während Napoleon selbst alle die föderalistischen Pläne des 
getreuen Dalberg zurückwies und trocken bemerkte: „ich lege keinen Werth 
auf den Bund als solchen, nur auf seine einzelnen Fürsten und ihre Unab- 
hängigkeit“" — entstand in Deutschland eine ganze Literatur, die mit liebe- 
vollem Fleiße jede Controverse dieses unfindbaren Bundesrechts erörterte. 
Mit vollem Rechte wahrlich zürnte die patriotische Jugend des Nor- 
dens über den Lügengeist der neuen Zeit, denn niemals früher war in 
den deutschen Kleinstaaten eine solche Fülle gehässiger Lügen über „den 
Borussismus“ verbreitet worden wie in den Tagen Stein's und Scharn- 
horst's. Der Preußenhaß nahm neue Formen an. In der alten Zeit 
hatte der preußische Staat unter der katholisch-kaiserlichen Partei seine 
leidenschaftlichsten Feinde gefunden, und auch jetzt noch frohlockten die 
Münsterländer über den Untergang des preußischen Ketzerregiments; doch 
traten nunmehr, namentlich in den Kreisen der bairischen Beamten, auch 
modern gebildete Männer auf, die von der lichten Höhe französischer Auf-
	        
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