Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

376 I. 3. Preußens Erhebung. 
bäuerlichen Verhältnisse und über die Beförderung der Landescultur. Dabei 
hatte Thaer's kundige Hand die Feder mit angesetzt. Die erblichen Besitzer 
von bäuerlichen Gütern ohne Eigenthumsrecht sollten das volle Eigenthum 
an ihrem Gute erlangen gegen die Abtretung von einem Drittel ihres 
Gutes oder gegen eine entsprechende Rente; wer nur die nichterbliche 
Nutznießung an seinem Bauerngute hatte, konnte durch die Abtretung 
der Hälfte ein freier Eigenthümer werden. Das Gesetz schnitt tief, ja 
grausam ein in die gewohnten Verhältnisse; sogar einige freie Köpfe des 
Beamtenthums, wie Hippel, fanden den Schritt allzu gewagt. Die Rit- 
terschaft in Pommern besaß etwa 260 Geviertmeilen, davon 100 U□. M. 
bäuerliches Land, jetzt wurden ihrer siebzig freies Eigenthum der Bauern. 
Begreiflich, daß der Adel murrte, auch Stein selber schloß sich ihm an. 
Die Lage der Grundherren war schon längst so trostlos, daß sich im 
Jahre 1810 die reichste Gutsbesitzerin in Preußen erbot, ihre Güter gegen 
eine jährliche Rente von 2000 Thlr. an den Staat abzutreten; ein schle- 
sischer Grundherr machte Bankrott, obgleich er noch einen Werth von 
300,000 Thlr. in Grund und Boden besaß. Aber auch die Bauern 
lärmten. Mehrmals brachen Unruhen aus, namentlich in Schlesien, 
da der kleine Mann wähnte, er sei mit einem male aller Pflichten ledig; 
die Ablösung, die dem Adel unbillig niedrig schien, wurde von den 
Pflichtigen viel zu hoch gefunden. Gleichwohl ging die segensreiche Re- 
form vorwärts. Sie stand, trotz aller äußeren Aehnlichkeit, in scharfem 
Gegensatze zu den Gesetzen der französischen Revolution, da die Berech- 
tigten ehrlich entschädigt wurden. Ihre Durchführung wurde wesentlich 
gefördert durch das Landesculturedict, das die freie Veräußerung und 
Theilung der Landgüter gestattete: dies bleibe „das beste Mittel, die 
Grundbesitzer vor Verschuldung zu bewahren, ihnen ein dauerndes Inter- 
esse für Verbesserung ihrer Güter zu geben und die Cultur aller Grund- 
stücke zu befördern"“". Aus vollem Herzen schloß der König, es sei „für 
sein Gefühl höchst erfreulich, daß wir endlich dahin gekommen sind alle 
Theile unserer getreuen Nation in einen freien Zustand zu versetzen und 
auch den geringsten Klassen die Aussicht auf Glück und Wohlstand er- 
öffnen zu können“. Gegen dieses Edict vornehmlich richtete sich Stein'’s 
Zorn. Er schalt, nicht ohne die gallige Laune des Staatsmannes außer 
Diensten, wider dies bureaukratische Nivelliren und fürchtete, die freie 
Theilbarkeit der Grundstücke werde die Auskaufung, die Vernichtung seines 
geliebten Bauernstandes herbeiführen — eine Besorgniß, die sich doch als 
übertrieben gezeigt hat. 
Hieran schloß sich endlich die Emancipation der Juden, welche bisher 
amtlich noch immer als „Judenknechte“ gegolten hatten (11. März 1812): 
wenn sie bleibende Familiennamen annahmen und sich der Wehrpflicht 
unterwarfen, so wurden sie, wie in den Ländern des Code Napoleon, 
vollberechtigte Staatsbürger, zu jedem Gewerbebetrieb in Stadt und
	        
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