Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Verwaltung und Heer. 41 
müßten. Von den politischen Denkern der jüngsten Jahrhunderte hatten 
allein Machchiavelli und Spinoza den einfach großen Gedanken der allge- 
meinen Wehrpflicht zu vertheidigen gewagt; Beide schöpften ihn aus der 
Geschichte des Alterthums, Beide blieben unverstanden von den Zeit- 
genossen. Die Noth des Staatshaushalts und eine instinctive Erkennt- 
niß der Natur seines Staates führten dann den derben Praktiker auf 
Preußens Throne zu derselben Ansicht, obgleich er von der sittlichen Kraft 
eines nationalen Heeres nur wenig ahnte. Er zuerst unter den Staats- 
männern des neuen Europas sprach den Grundsatz aus: „jeder Unter- 
than wird für die Waffen geboren“ und arbeitete sein Leben lang sich 
diesem Ideale anzunähern, ein Heer von Landeskindern zu bilden. Das 
Cantonreglement von 1733 verkündete die Regel der allgemeinen Dienst- 
pflicht. 
Freilich nur die Regel. Der Gedanke war noch unreif, da die lange 
Dienstzeit jener Epoche ihm schnurstracks zuwiderlief. Die Armuth des 
Landes und die Macht der ständischen Vorurtheile zwangen den König 
zahlreiche Ausnahmen zuzulassen, so daß die Last des erzwungenen Waffen- 
dienstes thatsächlich allein auf den Schultern des Landvolkes lag; und 
selbst die also beschränkte Wehrpflicht konnte nicht vollständig durchgeführt 
werden. Unbesiegbar blieb der stille Widerstand gegen die unerhörte 
Neuerung, der Abschen des Volkes vor dem langen und harten Dienste. 
Selten gelang es, mehr als die Hälfte des Heeres mit einheimischen 
Cantonisten zu füllen; der Rest ward durch Werbungen gedeckt. Viele 
der meisterlosen deutschen Landsknechte, die bisher in Venedig und den 
Niederlanden, in Frankreich und Schweden ihre Haut zu Markte getragen, 
fanden jetzt eine Heimath unter den Fahnen der norddeutschen Groß- 
macht; der Süden und Westen des Reichs wurde das ergiebigste Werbe- 
gebiet der preußischen Regimenter. Auf so wunderlichen Umwegen ist 
unsere Nation zur Macht und Einheit aufgestiegen. Jenes waffenlose 
Drittel des deutschen Volkes, dessen Staatsgewalten zum Schutze des 
Reichs kaum einen Finger regten, zahlte den Blutzoll an das Vaterland 
durch die tausende seiner verlorenen Söhne, die als Söldner in Preußens 
Heeren fochten; jene Kleinfürsten in Schwaben und am Rhein, die in 
Preußen ihren furchtbaren Gegner sahen, halfen selber die Kriegsmacht 
ihres Feindes zu verstärken. Seit das preußische Heer entstand, hörte 
das Reich allmählich auf der offene Werbeplatz aller Völker zu sein, und 
als dies Heer erstarkte war Deutschland nicht mehr das Schlachtfeld 
aller Völker. 
Das Heer bot dem Könige die Mittel den aufsässigen Adel mit der 
monarchischen Ordnung zu versöhnen. Wohl war das Ansehen des 
Kriegsherrn schon erheblich gestiegen seit jenen argen Tagen, da der 
große Kurfürst seine eigenen Kriegsobersten gleich Raubthieren auf der 
Jagd umstellen ließ und sie zwang ihm allein den Eid der Treue zu
	        
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