Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

46 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
Fürstenköpfe, doch einen unverkennbaren Familienzug zeigen, so auch ihr 
politischer Charakter. Alle, die großen wie die schwachen, die geistreichen 
wie die beschränkten, bekunden mit seltenen Ausnahmen einen nüchtern 
verständigen Sinn für die harten Wirklichkeiten des Lebens, der nicht 
verschmäht im Kleinen groß zu sein, und alle denken hoch von ihrer 
Fürstenpflicht. 
Die Gesinnung des ersten märkischen Hohenzollern, der sich „Gottes 
schlichten Amtmann an dem Fürstenthum“ nannte, waltet in allen Enkeln; 
sie kehrt wieder in dem Wahlspruche des großen Kurfürsten „Für Gott 
und das Volk“; sie spricht aus dem sieberischen Diensteifer des Soldaten- 
königs, der sich immer bewußt blieb mit seiner Seelen Seligkeit dereinst 
einstehen zu müssen für das Wohl seines Volkes; sie findet endlich einen 
tieferen und freieren Ausdruck in dem fridericianischen Worte: „Der König 
ist der erste Diener des Staates.“ Viele der Hohenzollern haben gefehlt 
durch allzu gewissenhafte Scheu vor dem Würfelspiele des Krieges, Wenige 
durch unstete Kampflust; die überlieferte Politik des Hauses suchte den 
Herrscherruhm in der Wahrung des Rechts und der Pflege der Werke 
des Friedens, richtete nur zuweilen, in großen Augenblicken, die wohl- 
geschonten Kräfte des Staates nach außen — auch hierin wie überall 
das schroffe Gegenbild der gänzlich den europäischen Fragen zugewendeten 
Staatskunst der Habsburger. Die Dynastie hatte längst gleich den alt- 
französischen Königen ihr Hausgut an den Staat abgetreten; sie lebte 
allein dem Ganzen. Während fast alle anderen Territorien des Reichs 
den Namen und das Wappenschild ihres Fürstenhauses annahmen, trugen 
die Fahnen der Hohenzollern den alten Reichsadler der Stauferzeit, den 
sich die ferne Ostmark durch die Jahrhunderte bewahrt hatte, und die 
Deutsch-Ordensfarben des Landes Preußen. Dies hart politische König- 
thum erzog ein mißhandeltes und verwildertes Volk zu den Rechten und 
Pflichten des Staatsbürgerthums. Wo immer man die Zustände deutscher 
Landschaften vor und nach ihrem Eintritt in den preußischen Staat ver- 
gleichen mochte, in Pommern, in Ostpreußen, in Cleve und der Graf- 
schaft Mark, überall hatte der Klang der preußischen Trommeln den 
Deutschen die Freiheit gebracht: die Befreiung von der Gewalt des Aus- 
lands und von der Tyrannei ständischer Vielherrschaft. Auf dem Boden 
des gemeinen Rechts ist dann unter schweren Kämpfen, doch in natür- 
licher, nothwendiger Entwickelung eine neue reifere Form der politischen 
Freiheit erwachsen, die geordnete Theilnahme der Bürger an der Leitung 
des Staates. Nicht das Genie, sondern der Charakter und die feste 
Mannszucht gab diesem Staate sittliche Größe; nicht der Reichthum, 
sondern die Ordnung und die rasche Schlagfertigkeit seiner Mittel gab 
ihm Macht. 
Doch jetzt am wenigsten konnte die deutsche Nation ein Verständniß 
gewinnen für die seltsame Erscheinung dieses waffenstarken Staates, wie
	        
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