Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Alexander und Friedrich Wilhelm. 609 
seinen sarmatischen Freund mit nach Wien und trat offen auf als con— 
stitutioneller König des neuen Polenreichs. 
Nesselrode, der Freund Metternich's, fiel fast in Ungnade; sein Wort 
galt wenig neben den Ansichten Czartoryski's und Capodistrias'. Dieser 
geistreiche Corfiot verhehlte kaum, daß er den russischen Dienst nur als 
eine Staffel ansah um dereinst der Held und Befreier seines griechischen 
Vaterlandes zu werden; allen geknechteten Völkern brachte er seine be- 
geisterte Theilnahme entgegen, zu allermeist dem unglücklichen Italien, 
das ihm als die Schicksalsschwester seiner Hellas theuer war. Die neu- 
gegründete Hetärie von Odessa und der Philomusenbund der Athener 
fanden an ihm einen Beschützer. Bald sah man einige der russischen Herren 
mit dem goldenen und dem ehernen Ringe der beiden hellenischen Bünde 
geschmückt, der junge Fürst Opsilanti warb rührig für die griechische Sache. 
Auch deutsche Prinzen, Gelehrte und Staatsmänner schlossen sich bereits 
den Philhellenen an; Haxthausen's schöne Sammlung neugriechischer Bal- 
laden ging von Hand zu Hand, erweckte zugleich altclassische Erinnerungen 
und christlich-romantische Schwärmerei. Wie conservativ die Zeit auch 
dachte, diesen Großtürken, der soeben die Serben schaarenweise schinden, 
pfählen und rösten ließ, wollten die deutschen Idealisten doch nicht als 
einen legitimen Fürsten gelten lassen. Metternich sah mit Sorge, daß 
die gehoffte europäische Gesammtbürgschaft für seinen türkischen Schützling 
doch noch im weiten Felde lag, und beobachtete mit wachsendem Mißtrauen 
die revolutionäre Gesinnung des Czaren, der auch mit Stein wieder in 
ein freundliches Verhältniß trat und den Deutschen eine lebensfähige 
Bundesverfassung wünschte. Ein Unglück nur, daß der Freiherr kein 
Amt bekleidete; so konnte er wohl Allen freimüthig in's Gewissen reden, 
doch in den kritischen Augenblicken der Verhandlungen niemals den Aus- 
schlag geben. 
Der Anspruchslosigkeit König Friedrich Wilhelm's ward das ewige 
Gepränge bald unausstehlich, er sehnte sich heim zur geordneten Arbeit 
in seinem ruhigen Schlosse und langweilte sich gründlich auf den rauschen- 
den Festen, kaum daß er schüchtern der schönen Gräfin Julie Zichy ein 
ganz klein wenig den Hof machte. Seine Meinung über die Unentbehr- 
lichkeit der russischen Allianz stand fest, jedoch wagte er noch nicht den 
abweichenden Ansichten Hardenberg's und Humboldt's ein entschiedenes 
Nein entgegenzustellen und ließ sich sogar zum täglichen Umgang den er- 
klärten Gegner Rußlands Knesebeck gefallen, der, allzeit eifrig österreichisch, 
sich wie Metternich für den Sultan begeisterte. Dem leichtlebigen Staats- 
kanzler behagte das bunte Treiben wohl; er hörte es gern, wenn man ihm 
unter den älteren, wie dem Fürsten Metternich unter den jüngeren Männern 
des Congresses den Preis der Anmuth und Liebenswürdigkeit zuerkannte; 
seine abnehmenden Kräfte litten sichtlich unter der unablässigen Zerstreuung. 
Glücklicher wußte Humboldt die Strapazen des Genusses zu ertragen 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 39
	        
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