Verschärfung der sächsischen Frage. 651
verzichtete auf die Absicht, die Festung an Baiern zu geben, denn in der
Bekämpfung dieses Planes waren Rußland und Preußen mit dem par-
ticularistischen Neide der Kleinfürsten einig. Hardenberg wollte den Schlüssel
der Rheinlande nicht treulosen Händen anvertrauen; die Kleinen aber be-
fürchteten, wie die württembergischen Bevollmächtigten sich ausdrückten),
daß ein starker Staat im Besitze von Mainz „das Schicksal aller übrigen
deutschen Staaten von sich abhängig machen würde.“ So verfiel man
denn auf ein Auskunftsmittel, das, unnatürlich und abgeschmackt wie es
war, doch aus den chaotischen Zuständen des Deutschen Bundes sich mit
einer gewissen Nothwendigkeit ergab. Das goldene Mainz, dereinst der
Sitz des vornehmsten deutschen Fürsten, wurde der Landeshoheit des Darm-
städter Großherzogs unterworfen, weil dieser Machthaber seinen Nachbarn
niemals bedrohlich werden konnte; die Festung ward ein fester Platz des
Deutschen Bundes mit einer österreichisch-preußischen Garnison. Also be-
hielt Preußen hier doch einen Fuß im Bügel. Von dem unendlichen Streite,
welchen das Mitbesatzungsrecht Oesterreichs dereinst erregen sollte, ahnte
man noch nichts; man träumte noch den Traum des friedlichen Dualismus.
Ebenso künstlich war der russische Vorschlag, Thorn und Krakau zu freien
Städten zu erheben; eine Republik Krakau mußte unfehlbar der Herd
einer namentlich für Oesterreich hochgefährlichen polnischen Propaganda
werden. Indeß die Gedanken der Hofburg erhoben sich nur bis zu dem
Wunsche, daß der beherrschende Platz des oberen Weichselthals den Russen
nicht als Grenzfestung dienen dürfe. Metternich fand gegen den Plan
wenig einzuwenden.
Die polnischen Händel boten nur noch geringe Schwierigkeiten, zumal
da Alexander jetzt die Vereinigung von Litthauen und Polen fallen ließ
und allein die warschauischen Lande für das neue Polenreich bestimmte.
Seinem klagenden Czartoryski sagte er freilich insgeheim zum Troste:
dies verstümmelte Königreich sei nur eine pierre d'attente. Gleichwviel,
die sächsische Frage blieb fortan der einzige ernsthafte Streitpunkt zwi-
schen den Mächten. Immer heftiger ward der allgemeine Widerspruch
gegen die preußischen Pläne. In seiner Verlegenheit entschloß sich der
Staatskanzler zu einem der größten diplomatischen Mißgriffe seines Lebens.
Er schrieb an Metternich (3. Deec.) einen unbegreiflichen Brief, der das
gute Herz des österreichischen Freundes durch bewegliche Worte rühren
sollte: „theurer Fürst, retten Sie Preußen aus seinem gegenwärtigen Zu-
stande"; dazu einige schwülstige Verse aus dem Rheinischen Mercur, welche
den Doppeladler einluden, mit dem schwarzen Aar gefälligst auf derselben
Rieseneiche zu horsten!
Mit kaum verhehltem Hohne antwortete Metternich in einer vertrau-
lichen Note vom 10. December. Er nahm jetzt amtlich seine früheren Zusagen
*) Wintzingerode und Linden an Hardenberg, 8. December 1814.