Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Verschärfung der sächsischen Frage. 651 
verzichtete auf die Absicht, die Festung an Baiern zu geben, denn in der 
Bekämpfung dieses Planes waren Rußland und Preußen mit dem par- 
ticularistischen Neide der Kleinfürsten einig. Hardenberg wollte den Schlüssel 
der Rheinlande nicht treulosen Händen anvertrauen; die Kleinen aber be- 
fürchteten, wie die württembergischen Bevollmächtigten sich ausdrückten), 
daß ein starker Staat im Besitze von Mainz „das Schicksal aller übrigen 
deutschen Staaten von sich abhängig machen würde.“ So verfiel man 
denn auf ein Auskunftsmittel, das, unnatürlich und abgeschmackt wie es 
war, doch aus den chaotischen Zuständen des Deutschen Bundes sich mit 
einer gewissen Nothwendigkeit ergab. Das goldene Mainz, dereinst der 
Sitz des vornehmsten deutschen Fürsten, wurde der Landeshoheit des Darm- 
städter Großherzogs unterworfen, weil dieser Machthaber seinen Nachbarn 
niemals bedrohlich werden konnte; die Festung ward ein fester Platz des 
Deutschen Bundes mit einer österreichisch-preußischen Garnison. Also be- 
hielt Preußen hier doch einen Fuß im Bügel. Von dem unendlichen Streite, 
welchen das Mitbesatzungsrecht Oesterreichs dereinst erregen sollte, ahnte 
man noch nichts; man träumte noch den Traum des friedlichen Dualismus. 
Ebenso künstlich war der russische Vorschlag, Thorn und Krakau zu freien 
Städten zu erheben; eine Republik Krakau mußte unfehlbar der Herd 
einer namentlich für Oesterreich hochgefährlichen polnischen Propaganda 
werden. Indeß die Gedanken der Hofburg erhoben sich nur bis zu dem 
Wunsche, daß der beherrschende Platz des oberen Weichselthals den Russen 
nicht als Grenzfestung dienen dürfe. Metternich fand gegen den Plan 
wenig einzuwenden. 
Die polnischen Händel boten nur noch geringe Schwierigkeiten, zumal 
da Alexander jetzt die Vereinigung von Litthauen und Polen fallen ließ 
und allein die warschauischen Lande für das neue Polenreich bestimmte. 
Seinem klagenden Czartoryski sagte er freilich insgeheim zum Troste: 
dies verstümmelte Königreich sei nur eine pierre d'attente. Gleichwviel, 
die sächsische Frage blieb fortan der einzige ernsthafte Streitpunkt zwi- 
schen den Mächten. Immer heftiger ward der allgemeine Widerspruch 
gegen die preußischen Pläne. In seiner Verlegenheit entschloß sich der 
Staatskanzler zu einem der größten diplomatischen Mißgriffe seines Lebens. 
Er schrieb an Metternich (3. Deec.) einen unbegreiflichen Brief, der das 
gute Herz des österreichischen Freundes durch bewegliche Worte rühren 
sollte: „theurer Fürst, retten Sie Preußen aus seinem gegenwärtigen Zu- 
stande"; dazu einige schwülstige Verse aus dem Rheinischen Mercur, welche 
den Doppeladler einluden, mit dem schwarzen Aar gefälligst auf derselben 
Rieseneiche zu horsten! 
Mit kaum verhehltem Hohne antwortete Metternich in einer vertrau- 
lichen Note vom 10. December. Er nahm jetzt amtlich seine früheren Zusagen 
  
*) Wintzingerode und Linden an Hardenberg, 8. December 1814.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.