670 II. 1. Der Wiener Congreß.
geringe Summe erst vom Neujahr 1816 ab in vier halbjährigen Raten
zu zahlen! Endlich am 7. Juni gab Schweden, gegen 3½ Mill. Thaler,
seine letzten Ansprüche auf deutschen Boden auf und erstattete zugleich
die während der letzten Jahre veräußerten vorpommerschen Domänen dem
neuen Landesherrn zurück. Preußen bewilligte mithin Ostfriesland und
über 5 Mill. Thaler für ein Land, das damals, freilich unter einer
sehr schlaffen Verwaltung, nur einen jährlichen Ueberschuß von 224,000
Thalern brachte. Kaufmännisch betrachtet war das Geschäft sicherlich un-
vortheilhaft, Schweden allein gewann bei dem verwickelten Handel; die
deutsche Nation aber hatte guten Grund dem Staatskanzler für diese
schwierige Arbeit zu danken.
Es war die höchste Zeit, Vorpommern von dem skandinavischen Leben
zu trennen. Das Land war in fast zwei Jahrhunderten gänzlich für die
drei Kronen des Nordens gewonnen; wie spät hatte doch selbst E. M. Arndt,
fast vierzig Jahre alt, das Bewußtsein seines deutschen Volksthums ge-
wonnen! Wie viel hundert mal haben die Rügener ihre Feste angetanzt
unter den Klängen des alten Schwedensanges: Gustafs sk#I! Zu Anfang
des Jahrhunderts sangen die Stralsunder Kaufherren bei festlichen Ge-
lagen nach feierlicher Melodie das Nationallied:
Laßt die Politici nur machen!
Ob Frankreich oder England siegt,
Man kapert uns kein Schiff, kein Boot.
Was hat es denn mit uns für Noth?
Nachher, da die blaugelbe Flagge die Schiffe der Stralsunder Rheder
nicht mehr zu decken vermochte, begann diese Gemüthlichkeit allerdings
einem männlicheren Gefühle zu weichen; indeß sahen der Landadel und
das städtische Patriciat, von der schwedischen Krone mit kostbaren Privi-
legien überschüttet, der Rechtsgleichheit der preußischen Verwaltung mit
sehr gemischten Empfindungen entgegen. Wunderbar schnell hat sich dann
die Gesinnung des Landes verwandelt. Die Krone Schweden selber em-
pfand, daß durch den Einzug der Preußen nur die natürliche Ordnung
hergestellt wurde; König Karl XIII. sprach zum Abschied seinen getreuen
Pommern aus, Schweden sei durch die Erwerbung Norwegens in eine
„insularische Lage“ gekommen und weniger denn je im Stande die ent-
legene deutsche Provinz zu vertheidigen. Und dies wackere deutsche Land
sollte schon nach wenigen Jahren bewähren, was der Sprecher der Ritter-
schaft, Graf Bohlen, bei der Huldigungsfeier versprach: „wir werden be-
weisen, daß wir auch unter einer auswärtigen Regierung nicht verlernt
haben Deutsche zu sein.“"
In Ostfriesland aber herrschte tiefe Trauer. Lange wollte man die
Unheilsbotschaft nicht glauben; die königlichen Behörden versicherten wie-
derholt, daß sie von der Abtretung amtlich nichts wüßten. Das tapfere
Landwehrregiment der Provinz focht noch bei Ligny und Belle Alliance