80 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
die Leitung der Bildungsanstalten übernahm, kam ein etwas freierer Zug
in das Unterrichtswesen. Damals verbesserte der treffliche Abt Felbiger
die katholische Volksschule und fand in Oesterreich und draußen im Reich
eifrige Anhänger, also daß endlich auch das katholische Deutschland des
besten Segens der Reformation theilhaftig wurde.
Es schien ein Leichtes, in Berlin einen glänzenden Kreis der besten
Köpfe Deutschlands zu reicher Thätigkeit zu versammeln. Jedes junge
Talent im Reiche suchte nach dem Auge des Helden der Nation. Selbst
jener Winckelmann, der einst in heißem Hasse den Marken entflohen war,
empfand jetzt, mit wie starken Banden dieser Staat die Herzen seiner
Söhne festhält. „Es lässet sich", so schrieb er, „zum ersten male die
Stimme des Vaterlandes in mir hören, die mir vorher unbekannt war.“
Er brannte vor Begier, dem Aristoteles der Kriegskunst zu zeigen, daß
ein geborener Unterthan etwas Würdiges hervorbringen könne, und unter-
handelte jahrelang über eine Anstellung in Berlin. Aber an Friedrich's
französischer Akademie war kein Platz für deutsche Denker. Die mediceischen
Tage, die man einst von dem kunstbegeisterten Prinzen des Rheinsberger
Musenhofes erhoffte, kamen nur für die ausländischen Schöngeister der
Tafelrunde von Sanssouci; das junge Leben, das in den Tiefen seines
eigenen Volkes sich unbändig regte, wollte und konnte der Zögling fran-
zösischer Bildung nicht mehr verstehen. Während die Berliner Gesellschaft
an den Gedanken der neuen Literatur sich bis zur Ueberbildung berauschte,
spöttische Freigeisterei und verfeinerte Genußsucht bereits die alte strenge
Sitteneinfalt verdrängten, behielt die preußische Verwaltung auch jetzt die
einseitige Richtung auf das handgreiflich Nützliche. Jener unausstehlich
steife, hausbacken prosaische Geist, den der alte Soldatenkönig seinem
Staate eingeflößt, wurde durch Friedrich etwas gemildert, nicht gebrochen;
nur die barocke Pracht des neuen Palais und die mächtigen Kuppeln der
Gensdarmenkirchen ließen erkennen, daß mindestens der barbarische Bil-
dungshaß der dreißiger Jahre allmählich zu entweichen begann.
Der preußische Staat vertrat noch immer nur die eine Seite unseres
nationalen Lebens; die Zartheit und die Sehnsucht, der Tiefsinn und die
Schwärmerei des deutschen Wesens gelangten in dieser Welt der Nüchtern-
heit nicht zu ihrem Rechte. Der Mittelpunkt der deutschen Politik wurde
nicht die Heimath der geistigen Arbeit der Nation; das classische Zeitalter
unserer Dichtung fand seine Bühne in den Kleinstaaten. In dieser folgen-
schweren Thatsache liegt der Schlüssel zu manchem Räthsel der neuen
deutschen Geschichte. Der kühl ablehnenden Haltung König Friedrich's
dankt unsere Literatur das Köstlichste was sie besitzt, ihre unvergleichliche
Freiheit; aber diese Gleichgiltigkeit der Krone Preußen während der Tage,
welche den Charakter der modernen deutschen Bildung bestimmten, hat
auch verschuldet, daß es den Helden des deutschen Gedankens noch lange
schwer fiel, den einzigen lebenskräftigen Staat unseres Volkes zu verstehen.