Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

116 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. 
Begründung der Berliner Universität rührig mitgearbeitet. In der Un— 
zahl seiner staatswissenschaftlichen Schriften zeigte sich ein beschränkter, harter 
Kopf, der die Ideen der Revolution haßte, ohne doch ihre Grundlage, die Lehre 
des Naturrechts, wissenschaftlich überwinden zu können; an seinem Rufe haftete 
bisher kein Makel. Welch ein Ärgernis nun, als dieser geachtete Patriot 
plötzlich eine lange Reihe wütender Anklagen gegen das neue Deutschtum 
erhob: wie die Jakobiner einst die Menschheit, so spiegeln diese verschworenen 
Volksverführer die Teutschheit vor um uns der Eide vergessen zu machen und 
den tollen Gedanken Einer deutschen Regierung zu verwirklichen! Gerade gegen 
den bescheidensten und maßvollsten der teutonischen Redner, gegen Arndt rich- 
tete Schmalz seine gehässigen Schmähungen. Arndt hatte in dem köstlichen 
Katechismus für den deutschen Landwehrmann die biblische Redewendung 
gebraucht: schonet der Wehrlosen und der Weiber und Kinder brauchet christ- 
lich und menschlich. Daraus schloß Schmalz, diese Ruchlosen hätten „Mord, 
Plünderung, Notzucht, letztere gar klärlich gepredigt". Ohne Zweifel, selbst 
seine Gegner gaben das zu, handelte der unselige Mann in gutem Glauben. 
Zum ersten Male seit drei Jahrhunderten war über das stille Nord- 
deutschland eine wirkliche Volksbewegung dahingebraust; der Anblick aller 
der elementarischen Kräfte, die in solchen Zeiten des Sturmes sich ent- 
fesseln, hatte manches schwache Gemüt betäubt und verwirrt. Wie in 
England zur Zeit Karls II. tausende ehrlicher Leute von dem Dasein der 
eingebildeten Papistenverschwörung überzeugt waren, so griff jetzt in Deutsch- 
land ein finsterer Wahn gleich einer verheerenden Seuche um sich; nicht 
bloß schlechte Gesellen glaubten an die geheime Wühlerei demagogischer 
Bünde. Noch verletzender als der offenbare Unsinn berührten die bos- 
haften Halbwahrheiten der Schmalzischen Schrift. Dem literarischen Selbst- 
gefühle hielt er entgegen: die Masse des Volkes habe von den Schriften 
der Publizisten nie ein Wort erfahren. Aus jener schönen Anspruchslosig- 
keit des preußischen Volks, die das Ungeheure tat als verstände sich's von 
selber, zog der Denunziant den Schluß, eine ungewöhnliche Begeisterung 
habe sich nirgends gezeigt, die Preußen seien zu den Fahnen geeilt wie beim 
Brande die Nachbarn zum Löschen. Wenn Arndts Schrift über „Preußens 
rheinische Mark“ sagte: „Preußen muß allenthalben sein und Preußens 
Deutschland allenthalben“, und den Staat der Hohenzollern das einzige 
deutsche Land nannte, das Deutschlands Nichtigkeit zur Herrlichkeit er- 
heben könne — so genügten dem Ankläger solche unbestimmte Weissagungen, 
um die beabsichtigte Entthronung aller deutschen Kleinfürsten zu erweisen. 
Die besten Männer der Nation fühlten sich in den Tiefen der Seele 
empört, da sie das Andenken der schönsten Zeit der neuen deutschen Ge- 
schichte so schmählich besudelt sahen. Eine Flut von Gegenschriften über- 
schwemmte den Büchermarkt, der ärgerliche Handel hielt während der letzten 
Monate des Jahres 1815 fast die gesamte gebildete deutsche Welt in Atem. 
Auch das Ausland mischte sich ein; die Times unterstand sich, den unruhigen
	        
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