116 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
Begründung der Berliner Universität rührig mitgearbeitet. In der Un—
zahl seiner staatswissenschaftlichen Schriften zeigte sich ein beschränkter, harter
Kopf, der die Ideen der Revolution haßte, ohne doch ihre Grundlage, die Lehre
des Naturrechts, wissenschaftlich überwinden zu können; an seinem Rufe haftete
bisher kein Makel. Welch ein Ärgernis nun, als dieser geachtete Patriot
plötzlich eine lange Reihe wütender Anklagen gegen das neue Deutschtum
erhob: wie die Jakobiner einst die Menschheit, so spiegeln diese verschworenen
Volksverführer die Teutschheit vor um uns der Eide vergessen zu machen und
den tollen Gedanken Einer deutschen Regierung zu verwirklichen! Gerade gegen
den bescheidensten und maßvollsten der teutonischen Redner, gegen Arndt rich-
tete Schmalz seine gehässigen Schmähungen. Arndt hatte in dem köstlichen
Katechismus für den deutschen Landwehrmann die biblische Redewendung
gebraucht: schonet der Wehrlosen und der Weiber und Kinder brauchet christ-
lich und menschlich. Daraus schloß Schmalz, diese Ruchlosen hätten „Mord,
Plünderung, Notzucht, letztere gar klärlich gepredigt". Ohne Zweifel, selbst
seine Gegner gaben das zu, handelte der unselige Mann in gutem Glauben.
Zum ersten Male seit drei Jahrhunderten war über das stille Nord-
deutschland eine wirkliche Volksbewegung dahingebraust; der Anblick aller
der elementarischen Kräfte, die in solchen Zeiten des Sturmes sich ent-
fesseln, hatte manches schwache Gemüt betäubt und verwirrt. Wie in
England zur Zeit Karls II. tausende ehrlicher Leute von dem Dasein der
eingebildeten Papistenverschwörung überzeugt waren, so griff jetzt in Deutsch-
land ein finsterer Wahn gleich einer verheerenden Seuche um sich; nicht
bloß schlechte Gesellen glaubten an die geheime Wühlerei demagogischer
Bünde. Noch verletzender als der offenbare Unsinn berührten die bos-
haften Halbwahrheiten der Schmalzischen Schrift. Dem literarischen Selbst-
gefühle hielt er entgegen: die Masse des Volkes habe von den Schriften
der Publizisten nie ein Wort erfahren. Aus jener schönen Anspruchslosig-
keit des preußischen Volks, die das Ungeheure tat als verstände sich's von
selber, zog der Denunziant den Schluß, eine ungewöhnliche Begeisterung
habe sich nirgends gezeigt, die Preußen seien zu den Fahnen geeilt wie beim
Brande die Nachbarn zum Löschen. Wenn Arndts Schrift über „Preußens
rheinische Mark“ sagte: „Preußen muß allenthalben sein und Preußens
Deutschland allenthalben“, und den Staat der Hohenzollern das einzige
deutsche Land nannte, das Deutschlands Nichtigkeit zur Herrlichkeit er-
heben könne — so genügten dem Ankläger solche unbestimmte Weissagungen,
um die beabsichtigte Entthronung aller deutschen Kleinfürsten zu erweisen.
Die besten Männer der Nation fühlten sich in den Tiefen der Seele
empört, da sie das Andenken der schönsten Zeit der neuen deutschen Ge-
schichte so schmählich besudelt sahen. Eine Flut von Gegenschriften über-
schwemmte den Büchermarkt, der ärgerliche Handel hielt während der letzten
Monate des Jahres 1815 fast die gesamte gebildete deutsche Welt in Atem.
Auch das Ausland mischte sich ein; die Times unterstand sich, den unruhigen