Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Frankreich und die vier Mächte. 121 
er besorgt: die Nachkommen Ludwigs XV. werden Frankreich nicht regieren, 
und Artois trägt die Schuld! Metternich schrieb warnend: „die Rückkehr zu 
einer vergangenen Ordnung der Dinge bildet eine der größten Gefahren 
für einen Staat, der aus einer Revolution hervorgeht“; nachher entfuhr 
ihm sogar der schmerzliche Ausruf: „die Legitimisten legitimieren die Re— 
volution.“ Der preußische Gesandte, General Graf v. d. Goltz, ein alter 
Genosse des Blücherschen Hauptquartiers, bewährte sich als ein Diplomat 
von würdiger Haltung und gesundem Urteil; er ward nicht müde seinen 
Hof vor der selbstmörderischen Parteiwut der Royalisten zu warnen. So 
geschah es, daß Hardenberg schon im März 1816 aussprach: die gesetzliche 
Ordnung in Frankreich sei nur noch durch die Auflösung der unfindbaren 
Kammer zu retten. Die drei anderen Mächte trugen vorerst noch Bedenken, 
den Tuilerien ein so kühnes Mittel zu empfehlen. Aber als die Verblendung 
der Ultras unheilbar blieb, faßte König Ludwig endlich einen mutigen Ent- 
schluß. Am 5. Septbr. erfolgte die Auflösung unter dem Jubel des Landes; 
die Wahlen brachten den gemäßigten Parteien die Mehrheit, und das 
Ministerium Richelien -Decazes vermochte mit der neuen Kammer leidlich 
auszukommen. Seitdem erst begannen die vier Mächte mit etwas besserer 
Zuversicht in die Zukunft Frankreichs zu schauen. In einer Note vom 
10. Febr. 1817 eröffneten sie dem Herzog von Richelien: seine oft wieder- 
holte Bitte um Verminderung der Besatzungslast sei nunmehr erhört, das 
Heer Wellingtons solle um ein Fünftel, 30,000 Mann, vermindert werden; 
doch versäumten sie nicht hinzuzufügen, daß die löblichen Grundsätze des 
Herzogs und seiner Amtsgenossen viel zu diesem Entschlusse beigetragen 
hätten. So tief war das stolze Frankreich gedemütigt: sein erster Minister 
mußte eine förmliche Belobung von dem hohen Rate Europas hinnehmen. 
Indessen zeigte sich bald, daß die Selbständigkeit der modernen Staaten 
eine so innige Gemeinschaft, wie sie der Vierbund begründet hatte, auf 
die Dauer nicht ertragen konnte. Der alte Gegensatz der russischen und 
Her österreichisch-englischen Politik trat immer wieder zu Tage, und Zar 
Alexander tat das Seine um den Argwohn des Wiener und des Lon- 
doner Hofes zu verschärfen. Ohne seine Verbündeten zu befragen, ließ 
er im Februar 1816 die Urkunde der Heiligen Allianz veröffentlichen: die 
Welt sollte ihn, ihn allein als den Heiland und den Führer des verbün- 
deten Europas bewundern. Während die anderen Mächte abrüsteten, wurde 
das russische Heer verstärkt und in dichten Massen nahe der Grenze zu- 
sammengezogen. Der Zar gefiel sich in übertreibenden Schilderungen der 
russischen Kriegsmacht, und sie wurde in der Tat, trotz der Erfahrungen 
der letzten Feldzüge, von aller Welt unbegreiflich überschätzt; selbst Gneisenan 
glaubte, daß Rußland über eine Million Soldaten gebiete und sogleich mit 
500,000 Mann einen Angriffskrieg beginnen könne. Metternich erklärte 
besorgt, die Wucht dieser Rüstungen und die orthodoxe Schwärmerei könnten 
den Zaren leicht zu kriegerischen Abenteuern verleiten; überall, in Frank-
	        
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