Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

126 II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages. 
selbst in England, der festen Burg der Gegenrevolution, der Gedanke der 
Parlamentsreform wieder erwachte, wie der feurige Demagog Cobbet seine 
Zweipfennig-Register unter die Massen warf und die lange verwahrlosten 
niederen Klassen an ihre Menschenrechte erinnerte. Um die Fragen der 
Verfassung und Verwaltung hatte sich der Meister der Diplomatie bisher 
ebenso wenig gekümmert wie um die großen Kulturzwecke des Völkerlebens, 
deren Förderung der echte Staatsmann als seine höchste Aufgabe betrachtet; 
selbst dem inneren Leben seines Osterreichs stand er so fern, daß er sein 
Urteil über den Charakter dieser Monarchie in der Phrase zusammenfaßte: 
sie trage, ohne ein Föderativstaat zu sein, doch die Vorteile wie die Nach- 
teile der Föderativgestaltungen. Jeden schöpferischen Gedankens bar 
lebte seine Politik aus der Hand in den Mundzj sie meinte genug zu tun, 
wenn sie sich bereit hielt jederzeit mit dem Löscheimer herbeizueilen sobald 
irgendwo die Flammen der Revolution aus dem Boden aufschlugen; sie 
schwor auf den Gedanken der Stabilität so unbedingt wie der junge Libe- 
ralismus auf die Abstraktionen seines Vernunftrechts, und der Feind der 
Doktrinäre verfiel schließlich selbst in einen Doktrinarismus, der noch um 
vieles unfruchtbarer war als die Lehren Rottecks. Je klarer jedes neue 
Jahr bewies, daß die lebendigen Kräfte der Geschichte vor den Schranken 
der Wiener Verträge nicht stillstehen konnten, um so krampfhafter ward 
die Furcht des Ruheseligen vor der Revolution, bis endlich fast in allen 
seinen Sendschreiben das sorgfältig ausgemalte Schreckbild des drohenden 
allgemeinen Weltbrandes wie die fixe Idee eines Geisteskranken wieder- 
kehrte. 
Nur an einer Stelle seines Machtgebietes hatte Osterreich nicht alle 
seine Absichten erreicht: der Plan des italienischen Bundes war in Wien 
an dem Widerspruche Piemonts gescheitert. Um den Turiner Hof doch 
noch für diesen Gedanken zu gewinnen, erhob die Hofburg jetzt Ansprüche 
auf das westliche Ufer des Langensees und die wichtige Simplonstraße; doch 
da Rußland und Preußen sich der bedrängten Piemontesen annahmen, 
so ließ Metternich seine Absicht vorläufig fallen und begnügte sich mit der 
tatsächlichen Beherrschung Italiens, die einstweilen leidlich gesichert schien. 
Wohl war der Jubel, welchen einst die einziehenden Osterreicher in der 
Lombardei begrüßt hatte, längst verrauscht; das Volk murrte über die rück- 
sichtslose Absetzung so vieler alter Beamten, über die harte, der Landesart 
völlig unkundige Verwaltung, über die schlechten Künste der geheimen Polizei 
und die Roheit des bastone tedesco. Als Kaiser Franz im Februar 1816 
seine Huldigungsreise durch das neue lombardisch-venetianische Königreich 
antrat, wurde er überall mit unverhohlener Kälte empfangen; selbst der 
preußische Gesandte, General von Krusemark, ein warmer Freund Oster- 
reichs, mußte seinem Könige berichten: die k. k. Beamten und Offiziere seien 
  
*) Krusemarks Bericht, 10. April 1816.
	        
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