Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Das rheinische Recht. 223 
rechtigte Eigentümlichkeit der Heimat zu verherrlichen; der Code war 
das rheinische Recht, und darum schon vortrefflich, wenn er nur nicht die 
Prozeßkosten gar zu hoch berechnet hätte. Sprach einer vom preußischen 
Rechte, so dachte das Volk sogleich an jene ungeheuerliche Gerichtsver- 
fassung, welche einst in Kurköln und Kurtrier bestanden hatte; nimmermehr 
durfte das Rheinland in dies Chaos zurücksinken. Vor allem die Offent- 
lichkeit des Verfahrens erschien als ein Bollwerk der Landesfreiheit; denn 
in dem rastlosen Wechsel seiner politischen Schicksale hatte dies Volk längst 
gelernt, jeder Regierung, weil sie regierte, zu mißtrauen. Als nun die 
Krone, wie einst vor der Veröffentlichung des Allgemeinen Landrechts, alle 
Sachverständigen zur Einreichung von Gutachten auffordern ließ, da sprach 
sich die große Mehrheit für die Erhaltung der Codes aus. Die Stadträte 
von Köln, Trier, Koblenz, Cleve wendeten sich unmittelbar an den König, 
und auch der Oberpräsident Solms-Laubach, ein Gegner der französischen 
Gesetzgebung, erklärte nachdrücklich, bei solcher Stimmung der Provinz sei, 
zum Mindesten die Beseitigung des öffentlichen Verfahrens unmöglich.“) 
Sethe selbst wünschte zwar lebhaft die Rechtseinheit für den gesamten 
Staat; doch er sah auch, wie fern das Ziel noch lag, und erkannte die 
großen Vorzüge des neufranzösischen Rechts willig an. Hervorgegangen 
aus der Verschmelzung des römischen Rechts mit den großenteils ger- 
manischen Coutumes konnte der Code Napoleon auf deutschem Boden 
nicht schlechthin als fremdes Recht betrachtet werden, da das römische Recht 
auch bei uns längst heimisch war; seine Bestimmtheit und Kürze, seine 
Schärfe und folgerichtige Klarheit hielten den Vergleich mit der kasuistischen 
Weitschweifigkeit des Preußischen Landrechts wahrlich aus, und wo war in 
diesen ganz bürgerlichen rheinischen Landen noch ein Boden für die Patri- 
monialgerichte oder für das strenge Ständerecht der fridericianischen Gesetz- 
gebung? 
Nach zweijähriger Beratung legte die Kommission dem Monarchen 
die „Resultate“ ihrer Verhandlungen vor: sie empfahl, das rheinische Recht 
vorläufig, bis zur Revision der preußischen Gesetzbücher, aufrechtzuerhalten 
und schilderte in einem ausführlichen Gutachten, wie das Schwurgericht 
die Rechtsidee im Volke lebendig erhalte, das Gesetz beliebt mache, die 
Beamtenwillkür beschränke, die Einseitigkeit der juristischen Fachbildung durch 
die freie Welt= und Menschenkenntnis der Laien ergänze. Minister Kirch- 
eisen, der in den Gedanken des altländischen Richterstandes lebte und webte, 
ward durch diese Denkschrift lebhaft beunruhigt. Er befürchtete vornehmlich, 
daß in den alten Provinzen das Vertrauen des Volks zu den Gerichten 
sinken würde wenn die Schwurgerichte am Rhein fortbestünden, und wies in 
einer Entgegnungsschrift die „gehässige“ Unterscheidung von öffentlichem und 
geheimem Verfahren entrüstet zurück: auch in den alten Provinzen blieben 
  
*) Solms-Laubach, Darstellung der Zustände in Jülich-Cleve-Berg, 18. Aug. 1819.
	        
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