16 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
wagten, schienen alle einig in christlich-vaterländischer Begeisterung. Doch
kaum war der Friede geschlossen, so brachen all die schroffen Gegensätze,
welche das vielgestaltige deutsche Leben umschloß, mit einem Male wieder
hervor. Selbst halbverschollene Gedanken aus den ersten Jahren der
Revolution, Ideen die man längst überwunden glaubte, traten wieder an
das Tageslicht; denn es ist das Los jeder Literatur, die nicht mehr in
der ersten Jugend steht, daß die Vergangenheit zuweilen wieder lebendig
wird und die Schatten der Toten sich in den Kampf der Lebendigen
mischen. Rationalismus und religiöses Gefühl, Kritik und Mystik, Na—
turrecht und historische Staatslehre, nazarenische und hellenische Ideale,
Volkstum und Weltbürgertum, liberale und feudale Bestrebungen be—
kämpften und durchkreuzten sich in ewigem Wechsel.
Nicht bloß der ängstliche Gentz klagte erschrocken, die ersehnte Frie-
denszeit habe den Deutschen den Krieg Aller gegen Alle gebracht. Auch
Arndt, der allezeit hoffnungsvolle, konnte sein Entsetzen nicht verbergen,
wenn er etwa an dem Hofe des jungen preußischen Kronprinzen Alexan-
der Humboldt, den Vertreter der rein wissenschaftlichen Weltanschauung,
und daneben die Gebrüder Gerlach, die Heißsporne der christlich -germa-
nischen Glaubensinbrunst verkehren sah; er fragte besorgt, wie dies Volk
bei so unermeßlichem Abstande der Gesinnungen zum inneren Frieden, zur
festen Entschließung gelangen solle. Auf die Dauer fand der gesunde Sinn
der Nation freilich heraus was in diesem anarchischen Durcheinander echt
und lebensfähig war. Doch manches empfängliche Talent ging in dem
Gewirr der Meinungen ratlos unter, und wer den Mut fand an den
Kämpfen des deutschen Geistes teilzunehmen, mußte auf ein entsagungs-
volles Los gefaßt sein. Denn jeder bedeutende Kopf ward, auch wenn
er hoch über dem Sektengeiste stand, willig oder nicht, in den Streit der
literarischen Parteien hineingerissen, von den einen auf den Schild ge-
hoben, von den anderen mit der ganzen Zügellosigkeit deutscher Tadel-
sucht mißhandelt; und nur wenn ihm ein hohes Alter beschieden war,
konnte er hoffen, wie Savigny und Uhland, auch bei den Gegnern ver-
spätete Anerkennung zu finden.
Schon in den heiteren Jugendtagen der klassischen Literatur hatte
die Ubermacht der Kritik den freien Naturwuchs der Dichtung oft ge-
hemmt. Vollends jetzt, nachdem Deutschland siebzig Jahre lang fast alle
erdenklichen Kunststile und noch mannigfachere ästhetische Theorien ver-
sucht hatte, zeigte sich das künstlerische Schaffen von gelehrter Überbil-
dung angekränkelt. Kein Zweig der Dichtung litt darunter schwerer als
das Drama, das der Volksgunst bedarf wie die Blume der Sonne.
Goethe wußte wohl, warum er die anmaßenden Wortführer der Romantik