Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

22 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. 
Hoftheater nicht mehr zustande. Zudem hatte sich die Theaterkritik 
schon längst wie ein schädlicher Schwamm an den gesunden Baum der 
dramatischen Kunst angesetzt. Schon ward es zur Regel, daß der streb— 
same Gymnasiast oder Student sich durche Theaterbesprechungen seine lite— 
rarischen Sporen verdiente; fast jeder gebildete Mann übte sich gelegentlich 
in dem traurigen Handwerke des kritischen Spielverderbers. Weitaus die 
meisten dieser Rezensenten verfolgten lediglich den Zweck, durch hoch— 
mütigen Tadel sich selber ein Ansehen zu geben oder auch auf dem 
Theater Parteikämpfe anzuzetteln, an denen das kleinstädtische Publikum 
mit leidenschaftlichem Eifer teilnahm. Das Unwesen wuchs noch als die 
politischen Verfolgungen hereinbrachen. Seitdem blieb die Theaterkritik 
fast das einzige Gebiet, auf dem sich die Federn der Tagesschriftsteller 
frei ergehen durften; denn, sagte der Minister Graf Bernstorff, einen 
Knochen muß man den bissigen Hunden doch lassen! 
Nur zwei Dichtern dieses Zeitraumes ist es gelungen, das Theater 
durch bühnengerechte Werke von bleibendem Kunstwerte zu bereichern. 
Es waren die beiden ersten Osterreicher seit dem dreißigjährigen Kriege, 
die sich in der Geschichte der deutschen Poesie einen ehrenvollen Platz er— 
warben. Wie einst im dreizehnten Jahrhundert diese entlegenen Donau— 
lande zu unserem Heile das alte deutsche Volksepos bewahrten, während 
das übrige Deutschland sich längst schon der ritterlichen Dichtung zuge— 
wendet hatte, so waren sie jetzt wieder fast unberührt geblieben von dem 
Gedankenreichtum, aber auch von den Irrtümern und der doktrinären 
Überbildung unserer literarischen Revolution. Als nun endlich einzelne 
gute Köpfe in Osterreich auf die Welt von neuen Ideen, welche den 
Deutschen aufgegangen war, aufmerksam wurden, da standen sie den 
Schlagworten unserer literarischen Parteien in glücklicher Freiheit gegen— 
über. Sie konnten in der Ferne, unbefangener als die Deutschen im 
Reiche, das Echte und Große aus der gewaltigen Bewegung herausfinden. 
Sie hatten vor sich ein schaulustiges, dankbar empfängliches Publikum, 
dessen naive, kräftige Sinnlichkeit noch nicht durch gelehrte Kritik ver— 
dorben war, und dazu das schöne Beispiel der großen Musiker Oster— 
reichs, die ja allesamt den goldenen Boden des Handwerks in Ehren 
hielten und sich nicht zu gut dünkten schlicht und recht für die Bühne 
zu arbeiten. 
Eben jetzt begann das Burgtheater unter Schreyvogels kundiger Lei— 
tung alle deutschen Bühnen zu überflügeln. Hier lernten die Wiener, 
in künstlerisch durchgebildeter und doch einfacher Darstellung, die schön— 
sten Dramen Deutschlands kennen; selbst ausländische Werke wußte der 
treffliche Dramaturg durch geschickte Bearbeitung dem deutschen Gefühle 
so nahe zu bringen, daß Moretos Donna Diana den Zuschauern bei— 
nahe so vertraut erschien wie ein heimisches Lustspiel. Hier war kein 
Boden für grübelnde Künstelei. So ist denn auch Franz Grillparzer von