304 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
Vater die Augen schlossen. Als er zur Regierung gelangte, stand er schon
im dreiundvierzigsten Jahre, da war keine Zeit zu verlieren.
Es galt zunächst, dem Hause Württemberg eine ansehnliche Beute zu
sichern bei dem Raubzuge des deutschen Fürstenstandes gegen seine kleinen
Genossen. Aber auf Schritt und Tritt fand sich der Herzog durch seinen
Landtag gehemmt. Während er selbst, als ein geschworener Feind der
Revolution, auf Osterreichs Seite trat, verlangten die Stände Neutralität
oder Anschluß an das freie Frankreich und schickten ihre eigenen Ge—
sandten nach Rastatt, Wien, Paris um die Politik des Landesherrn zu
durchkreuzen. Wiederholte Vermahnungen des Reichshofrats an die Aus—
schüsse, harte Gewalttaten des Herzogs gegen die Führer der Stände
steigerten die gegenseitige Erbitterung. Als in den letzten Zeiten des
Direktoriums die Heere Moreaus den Südwesten überschwemmten und die
Agenten Frankreichs an dem Plane einer süddeutschen Republik arbeiteten,
da entstanden in Schwaben wie in Bayern geheime jakobinische Vereine.
Eine Flugschrift warf bereits die Frage auf: „was gewonnen wird, wenn
Schwaben eine Republik wird?“ Inzwischen erkannte der Herzog, daß er
die ersehnte Gebietsvergrößerung nicht ohne Frankreichs Gunst erlangen
konnte. Er näherte sich den Franzosen und brachte durch den Reichs—
deputationshauptschluß seine Beute in Sicherheit, bis er dann endlich,
überwältigt durch Napoleons dämonische Beredsamkeit offen unter Frank—
reichs Fahnen trat, das heilige Reich vernichten half, die souveräne Königs—
krone errang und den ehrwürdigen Bau der alten Landesverfassung mit
einem Fußtritt über den Haufen warf. Der Schlag fiel so plötzlich und
wirkte so betäubend, daß im ganzen Lande nur zwei Beamte, Georgii und
Sartorius, dem neuen Selbstherrscher den Schwur verweigerten; einige
andere erklärten, daß sie nur der Gewalt gewichen seien; alle übrigen
sagten sich ohne Widerstand von ihrem alten Verfassungseide los. Bei
der gewaltsamen Abrundung seines Staatsgebiets verfuhr König Friedrich
mit der ganzen Unbefangenheit eines Wegelagerers und gab den Okku—
pationskommissären, die er mit seinen gefürchteten schwarzen Jägern und
Chevauxlegers den kleinen Nachbarn über den Hals schickte, kurzab die
Weisung: „wer unter Ihnen am häufigsten von fremden Regierungen
bei mir verklagt wird, der soll mir am willkommensten sein.“ Und wie
der Herr so die Diener. Welch ein Genuß für den groben, ungebildeten,
altwürttembergischen Schreiber, wenn er als „königlich württembergischer
sonveräner Stabsschultheiß" in ein erobertes Gebiet einziehen oder den
stolzen Reutlinger Bürgern durch brutale Willkür den „sakermentschen
reichsstädtischen Hochmut austreiben“ konnte.
Fast auf das Dreifache vergrößert blieb das Reich des neuen Schwa-
benkönigs noch immer ein sehr bescheidener Mittelstaat, das winzigste unter
den Kleinkönigreichen des Rheinbunds. Es umfaßte nicht einmal das ge-
samte Gebiet des ostschwäbischen Stammes und ragte im Norden nur