24 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
Glücke des Lebens zurück, die dem beladenen kleinen Manne die höchste
aller sittlichen Fragen bleibt; und immer wieder, mochte er nun den Ver—
schwender, den Menschenfeind oder den Bauer als Millionär vorführen,
ließ er seine Hörer empfinden, daß alles Glück in dem Frieden der Seele
liegt. Und die Masse glaubte ihm; die alten deutschen Volkslieder zum
Preise der fröhlichen Armut waren noch nicht vergessen. Unter den
zahlreichen Nachahmern des anspruchslosen Volksdichters kam keiner dem
Meister gleich. Das Volkslustspiel verwilderte schnell; die saftige Derb—
heit sank zur Liederlichkeit, der gemütliche Scherz zum öden Wortwitze,
die kindliche Einfalt zur Plattheit herab. Weit später erst, in einer Zeit
erbitterter politischer und sozialer Kämpfe, ist in Norddeutschland eine
neue Form der Posse entstanden, die an Witz und Schärfe jene unschul—
digen Zaubermärchen ebensoweit übertraf, wie sie an Humor und poeti—
schem Gehalt hinter ihnen zurückblieb. —
Für die erzählende Dichtung wurde die unersättliche Schreib= und
Lesesucht des Zeitalters zu einer Quelle schwerer Versuchungen. Niemals
früher hatte sich eine solche Unzahl betriebsamer Federn auf allen Ge-
bieten der Literatur zugleich getummelt. Der Meßkatalog der Leipziger
Buchhändler schwoll zu einem unförmlichen Bande an. In jedem Städt-
chen sorgte eine Leihbibliothek für die Unterhaltung der Lesewelt. Die
Anstandsgewohnheiten des altbegründeten Wohlstandes konnten sich in
dem verarmten Lande noch nicht ausbilden; die Deutschen fanden kein
Arg daran, daß sie mehr lasen und weniger Bücher kauften als irgend
ein anderes Volk. Indes erzielten einzelne Werke bereits einen starken,
nach den Begriffen der alten Zeit unerhörten Absatz: so Rottecks Welt-
geschichte, Zschokkes Stunden der Andacht und die Übersetzung von Walter
Scotts Romanen. Im Jahre 1817 kehrte Friedrich König, der Erfinder
der Schnellpresse, in die Heimat zurück und begründete dann in Oberzell
bei Würzburg seine große Fabrik, welche dem Buchhandel ermöglichte für
das Massenbedürfnis zu arbeiten. Und da man sich allgemach gewöhnte,
alles Neue aus dem ganzen Bereiche der Wissenschaft und Kunst gierig
herunterzuschlingen, so ward man bald unzufrieden mit dem einfachen
klassischen Unterrichte, auf dessen fruchtbarem Boden die neue deutsche
Kultur emporgeblüht war. Es genügte nicht mehr, dem Geiste eine strenge
formale Bildung zu geben, so daß er fähig ward aus einem engen Kreise
wohlgesicherter Kenntnisse nach und nach frei und stetig hinauszuwachsen,
neues Wissen sich durch selbständige Arbeit anzueignen. Man forderte
unter dem wohllautenden Namen der realistischen Bildung das Ansam-
meln einer bunten Fülle unzusammenhängender Notizen, so daß jeder
über jedes mitreden konnte. Das einfache Bekenntnis der Unwissenheit
galt für beschämend; niemand wollte zurückstehen, wenn das Gespräch in
raschem Wechsel von der Schicksalstragödie auf die spanische Verfassung, von
der Phrenologie auf die neuen englischen Dampfmaschinen hinübersprang.