312 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
königlichen Entwurfs würde dem Volke als ein „Verrat“ erscheinen. So
stand es noch um den Nationalstolz des Südens: der vielgefeierte erste
Landtag dieser Friedensjahre schloß mit dem Versuche, im Namen der
Volksrechte zwei fremde Mächte zur Einmischung in Deutschlands innere
Händel zu bewegen.
Mit wachsender Spannung war das Land diesen Kämpfen gefolgt.
Der Landtag konnte sich während der letzten entscheidenden Sitzungen nur
mit Mühe der Ständchen und Hochrufe des Stuttgarter Volks erwehren.
Nach der Vertagung strömte das Landvolk in dichten Scharen gen Lud-
wigsburg, und der König ließ seine Reiter vor den Toren streifen um
die einsame Residenz vor dem Getöse der Sturmpetitionen zu sichern.
Die rückkehrenden Männer des Volkes aber empfing daheim ein Sturm
überschwänglicher Huldigungen, der den Eigensinn und das starre Selbst-
gefühl der „Altrechtler“ bedenklich steigerte. Und wie hätte inmitten dieser
brausenden Volksbewegung der edle Dichter schweigen sollen, der für die
Herzensgeheimnisse des schwäbischen Volks allezeit das rechte Wort fand
und überdies durch seinen demokratischen Bürgertrotz, durch seine juristische
Bildung, durch die Uberlieferungen seiner Familie zu der altwürttem-
bergischen Rechtspartei geführt wurde? Ludwig Uhland begleitete jeden
Auftritt des wirrenreichen Kampfes mit den schlichten, volkstümlichen
Klängen seiner vaterländischen Gedichte und wendete — nach dem Rechte
der Wiederholung, das dem politischen Dichter wie dem Publizisten zu-
steht — in mannigfachen Weisen immer nur den einen Gedanken hin
und her:
Du Land des Korns und Weines,
Du segenreich Geschlecht,
Was fehlt Dir? All' und Eines:
Das alte gute Recht!
Die kräftigen Lieder schollen weit über Schwabens Grenzen hinaus und
schürten mächtig die unklare Aufregung der Zeit. So würdig und maß-
voll die Form war, aus allen sprach doch die radikale Lehre „Alles oder
Nichts“, aus allen der scharfe Vorwurf, daß die Bosheit ruchloser Ge-
walthaber die Völker um ihre verbrieften Rechte betrüge. Befangen in
dem Gesichtskreise der Heimat übertrug der schwäbische Dichter den Groll,
der in der dumpfen Luft des württembergischen Despotismus nicht unbe-
rechtigt war, auch auf die Zustände des gesamten Vaterlandes und schil-
derte schon am dritten Jahrestage der Leipziger Schlacht in dem schönsten
und radikalsten seiner politischen Gedichte die Lage Deutschlands als völlig
hoffnungslos. In einem Augenblicke, da Preußens Staatsmänner, kaum
erst aus Paris heimgekehrt, mit der Einrichtung der neuen Verwaltung
noch alle Hände voll zu tun hatten, beschwor Uhland schon den Geist
Theodor Körners herauf und ließ ihn zürnend sagen: „untröstlich ist's
noch allerwärts!“ Der ungerechte Ausspruch drang der teutonischen Jugend