326 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
ringer, die Staufer, die Hohenzollern in die weite Welt hinaussendete,
kam in Bayern frühe schon ein einziges Geschlecht über alle anderen
Dynastien empor. Das uralte Haus der Schyren hatte bereits in den
Tagen der Karolinger mehrmals den Herzogshut getragen und behauptete
jetzt seit mehr denn siebenhundert Jahren ununterbrochen die Landes-
herrschaft. In Strömen war bayrisches Blut für das alte blauweiße
Rautenschild geflossen; am Festtag flatterte die Landesfahne selbst auf
dem Einbaum, der, noch ganz so plump wie zur Zeit der Pfahlbauer,
die stillen Alpengewässer des Chiemsees und des Walchensees durchfurchte.
Das städtische Leben war nie mehr zu kräftiger Entwicklung gelangt,
seit die alte Hauptstadt Regensburg sich dem Lande entfremdet hatte.
Selbst München mit seinen prächtigen Kirchen und Schlössern, mit seinen
siebzehn Klöstern und siebzehn wundertätigen Bildern besaß um die Mitte
des achtzehnten Jahrhunderts an bürgerlicher Bildung und Gewerbtätig-
keit nicht viel mehr als die Mirakelstadt Deggendorf und die anderen Land-
städte, die den Bauern als Schrannenplätze und Wallfahrtsstätten dienten.
Die Kraft des Landes lag in den Bauern und einigen angesehenen Adels-
geschlechtern; für das Landvolk aber blieb die Kirche der Mittelpunkt des
Lebens und die selber aus dem Bauernstande hervorgegangene Pfarrgeist-
lichkeit der allmächtige Berater in allen zeitlichen und weltlichen Nöten.
Das Kirchenjahr mit der endlosen Reihe seiner Feiertage bestimmte jeden
Brauch des bäuerlichen Hauses; an dem Schmucke der Gotteshäuser und
dem Glanze der Prozessionen zeigte sich, wie viel frischen Farben= und
Formensinn dies Volk hinter rauher Hülle verbarg. Mit atemloser Span-
nung harrte die Gemeinde zur Pfingstzeit, bis der heilige Geist aus
dem Loche in der Kirchendecke herniederschwebte, mit eiserner Ausdauer
hielt sie am Schauerfreitag viele Stunden lang ihren Gebetsumgang, um
die Felder vor Hagelschlag zu schützen; an jedes Fest der Kirche schloß sich
die landesübliche unersättliche Schmauserei. Nirgends in der Welt, so
sagte das bayrische Sprichwort, war die Religion so bequem und die An-
dacht so lustig.
Unter dem letzten der bayrischen Wittelsbacher, Max III. drang zum
ersten Male ein Lichtstrahl in diese dicke Finsternis. Der Rheinländer
Ickstatt und einige andere mutige Schüler der neuen Aufklärung be-
gannen eine Reform des Unterrichtswesens und setzten durch, daß akatho-
liche Bücher bei den weltlichen Fakultäten der Jesuitenhochschule Ingolstadt
zugelassen wurden. Auf dem Boden dieser freieren weltlichen Bil-
dung sind dann viele der Männer aufgewachsen, welche ein Menschen-
alter später die Neugestaltung des erstarrten Staates vollführten: so auch
der geistvolle Humorist Anton Bucher, der, selbst ein Geistlicher, mit
derber, volkstümlicher Laune den rohen Aberglauben seiner Landsleute
geißelte. Aber wie die Jesuitenherrschaft in den romanischen Ländern
überall durch einen natürlichen Rückschlag den frivolen Unglauben förderte,