Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

370 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe. 
Diese beiden Briefe wurden einigen befreundeten Höfen im tiefsten Ver— 
trauen mitgeteilt; bald darauf erschienen sie gedruckt in einer Hamburger 
liberalen Zeitung, zur Freude aller Lästerzungen, der Radikalen daheim 
und der Feinde Deutschlands im Auslande. 
Der Verräter war Varnhagen von Ense, der eitelste und unzuver— 
lässigste aller Diplomaten Preußens. Der jugendliche Gatte der gefeierten 
Rahel brannte vor Begier, durch staatsmännische Taten sich des Ruhmes 
seiner Frau würdig zu zeigen. Er hatte während des Wiener Kongresses 
der Sache Preußens seine Feder gewidmet und dann von dem dankbaren 
Staatskanzler, der sich durch geistreiches Gespräch und vielseitige Bildung 
leicht blenden ließ, den schwierigen Karlsruher Posten angewiesen erhalten. 
Mit der ganzen Unbefangenheit des literarischen Schöngeists begann er 
hier sogleich Politik auf eigene Faust zu treiben, überschüttete den badi— 
schen Hof mit unerbetenen Ratschlägen, verteidigte radikale Doktrinen, 
welche der Meinung Hardenbergs geradeswegs zuwider liefen, und trat 
mit der liberalen Partei in einen vertrauten Verkehr, der sich mit seiner 
Amtspflicht nicht vertrug. Dieser kühne Freisinn hinderte ihn jedoch keines— 
wegs, vor dem Staatskanzler in byzantinischer Ergebenheit untertänigst 
zu ersterben, beständig um eine Rangerhöhung zu bitten und mit umständ— 
lichem Behagen zu erzählen, wie lange Großherzog und Großherzogin 
sich mit ihm zu unterhalten geruht hätten. Nichts süßlicher als seine 
Briefe an den Minister Berstett, den er haßte und nachher in seinen 
Denkwürdigkeiten verleumdete; eine wohlgedrechselte Riesenperiode von 
zwanzig Zeilen genügt ihm kaum, um auszudrücken, wie inbrünstig er 
„den erwünschten und, ich darf sagen, mit steigendem Anteil in mir zum 
voraus belebten Zeitpunkt“ der Rückkehr aus dem Urlaube und des er— 
neuten Verkehrs mit dem hochverehrten Manne „erwarten und beschleu— 
nigen mag“.“) In endlosen Berichten teilte er dem Staatskanzler seine 
Urteile über die große Politik und seine tiefgeheimen Nachrichten mit, 
fast durchweg wertlose Klatschereien, ganz im Stile seiner späteren Tage- 
bücher. Zuverlässige Nachrichten über die geheimen Vorgänge am Karls- 
ruher Hofe erhielt er nur selten, da niemand der Katzenfreundlichkeit des 
glatten Mannes recht traute; als die Konstitution endlich zustande kam, 
wußte Varnhagen nicht einmal wer ihr Verfasser war und nannte dem 
Staatskanzler zuversichtlich zwei falsche Namen.“) 
Sein Verhalten in den bayrisch-badischen Händeln war ihm von 
Berlin aus genau vorgeschrieben: er sollte dem Großherzog versichern, daß 
Preußen keine Gewalttat gegen Baden dulden werde, doch im übrigen 
sich zurückhalten und vor allem verhindern, daß der häßliche Streit in 
einen offenbaren Skandal ausarte. Demgemäß berichtete er zuerst über 
  
*) Varnhagen an Berstett, 8. Okt. 1817. 
**) Varnhagens Bericht, 26. August 1816.
	        
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