Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

390 II. 7. Die Burschenschaft. 
schien ganz erstorben, die große Arbeit der Wiederherstellung des Staates 
spielte sich in der Stille der Amtsstuben ab. Die Zeitungen wiesen dem 
Vaterlande nur ein bescheidenes Plätzchen am Ende des Blattes, hinter 
den ausländischen Nachrichten an und wußten oft wochenlang aus der 
Heimat von nichts zu berichten, als von fürstlichen Besuchen und Ma— 
növern oder von dem „gewiß seltenen“ Feste eines Amts-Jubiläums, wo— 
bei der Jubelgreis den roten Adlerorden empfangen und über „diesen 
gewiß seltenen Beweis Allerhöchster Gnade“ Tränen der Rührung ver— 
gossen hatte. Nur die Turnplätze gaben noch Stoff zum Erzählen: die 
Blätter wurden nicht müde zu schildern, „wie tief gemütlich und kindlich 
fromm, wie starkmütig und voll sinniger Tiefe“ diese streitbare Jugend 
sei, obgleich die Mehrzahl ihrer ruheseligen Leser im Stillen „die unge— 
bleichten Racker“ verwünschte. Der prahlerische Lärm der Turnfahrten 
erinnerte stark an das aufgeregte Treiben der Geißlerscharen des Mittel— 
alters; in manchem kleinen Orte empfing der gesamte Stadtrat die 
Turnerschar wie ein siegreiches Heer am Tore, und als Jahn seine Ge- 
treuen zum ersten Male nach Breslau hinüberführte, war ihm die halbe 
Stadt auf der Landstraße entgegengezogen, stundenweit schritten die schweiß- 
triefenden, durch den langen Dauerlauf keineswegs verschönerten jungen 
Helden zwischen dem Spalier der gaffenden Bürger dahin. 
Neben solchen Philistern mußten sie sich wohl selber als auserwählte 
Vorkämpfer „der guten Sache" fühlen. Wohl gab es auch unter den Alteren 
noch einzelne, „die nicht Geisteskrüppel waren“ und den Turnern gleich 
das welsche Wesen, die französische „Schmutz= und Giftsprache" tapfer 
bekämpften. So der Philolog Gottlieb Welcker in seiner Schrift: „Warum 
muß das Französische weichen?“" So Willemer in Frankfurt, der Gatte 
von Goethes Suleika; der schrieb ein „Wort an Deutschlands Frauen“, 
um die Pariser Tracht zu verdrängen. Denselben Gedanken führte dann 
Hofrat Becker in Gotha weiter aus, unter heftigen Ausfällen wider „die 
Putzpüppchen und die läppische Gesetzgeberin Mode“; das sauber gemalte 
Musterbild des „deutschen Feyerkleides“, das er seinem Buche beigab, war 
nur leider nichts anderes als eine Nachbildung der schwarzen spanischen 
Tracht des siebzehnten Jahrhunderts. Die deutschen Frauen aber wollten 
die bunten Farben nicht aufgeben, die Männer den Gedankenaustausch 
mit der französischen Kultur nicht missen. Da die Alten also sich im 
Welschtum verstockten, so blieb die Deutschheit allein auf die Jugend 
angewiesen, und hier ward sie täglich hochmütiger. Mancher Vater sendete 
seine Söhne nur darum auf den Turnplatz, weil er sie vor dem Hohne 
der Genossen bewahren wollte. Wo immer ein junger Mann einen andern 
traf, der gleich ihm selber einen Dolch an stählerner Kette über dem schä- 
bigen altdeutschen Rocke trug, da fanden sich die Beiden rasch zusammen 
wie die Mitglieder einer unsichtbaren Kirche und schwärmten selbander für 
ihre „Überzeugung“. Dieser Ausdruck hatte sonst nur die von außenher,
	        
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