Die schwäbische Dichterschule. 33
Herzen froh und stolz, diesem heiteren Lande des Weines und der Lieder
anzugehören, diesem Stamme, der einst des heiligen Reiches Sturmfahne
getragen hatte und fest wie kein anderer mit den großen Erinnerungen
unseres Mittelalters verwachsen war. Liebenswürdige Heiterkeit und natür—
liche Frische war allen den ungezählten Balladen und Liedern dieser Poeten
eigen; sie blieben deutsch und züchtig und bewahrten die reinen Formen
der lyrischen Dichtung auch in späteren Tagen, als der neue weltbür—
gerliche Radikalismus, den Adel der Kunstform und die Unschuld des
Herzens zerstörend, über die deutsche Poesie hereinbrach. Aber die wun—
derbare poetische Stimmung der Lieder Uhlands ließ sich ebensowenig
nachahmen wie seine schalkhafte Laune, die den reckenhaften Trotz der
deutschen Heldenzeit so glücklich zu verklären wußte. Manche der schwä—
bischen Balladensänger verfielen allmählich in die gereimte Prosa des Mei—
stersanges; ihre platte Gemütlichkeit wußte dem neuen Jahrhundert keine
Gedanken zu bieten.
Weitaus der eigentümlichste Geist aus diesem Kreise war Justinus
Kerner, eine durch und durch poetische Natur voll drolligen Humors und
tiefen Gefühles. Sein gastfreies Haus in den Rebgärten dicht neben der
alten sagenberühmten Burg Weibertreu bei Weinsberg blieb viele Jahre
hindurch die Herberge für alle guten Köpfe aus dem Oberlande. Wer
dort von dem Dichter und seinem Rickele herzlich aufgenommen ward
und ihn dann beim Neckarwein tolle Schnurren erzählen oder seine geist—
vollen warm empfundenen Lieder vortragen hörte, der fand es kaum an—
stößig, daß auch dieser im Grunde der Seele protestantische und moderne
Mensch von dem mystischen Hange der Romantik nicht unberührt ge-
blieben war. Wie Brentano die wundertätige Katharina Emmerich, so
feierte Kerner die Seherin von Prevorst, eine kranke Bäuerin aus der
Nachbarschaft, und meinte durch sie den Einklang zweier Welten zu be—
lauschen; was ihn in diese nächtigen Regionen trieb war nicht die Ge—
wissensangst einer unfreien, haltlosen Seele, sondern die poetische Schwär—
merei eines kindlichen Gemütes, das in der Verstandesdürre der Auf—
klärung seinen Frieden nicht finden konnte. Dankbar rief ein Genosse der
Tafelrunde dem glücklichen Dichterhause zu:
Es weicht die Geisterschwüle
Vor jener Abendkühle,
Die von des Genius Schwingen taut!
Unterdessen begann die Nation erst ganz zu verstehen was sie an
ihrem größten Dichter besaß. Immer mächtiger und gebieterischer hob
sich die Gestalt Goethes vor ihren Augen, als die Aufregung der Kriegs-
zeit sich legte und die während der Jahre 1811—14 erschienenen drei
ersten Teile von Dichtung und Wahrheit allmählich in größere Kreise
drangen. Das Buch stand in der langen Reihe der Bekenntnisse bedeu-
tender Männer ebenso einzig da wie der Faust in der Dichtung. Seit
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. U. 3