408 II. 7. Die Burschenschaft.
schichte wurden, wie vordem Fichtes und Schellings Kollegien, der Sam—
melplatz für die Masse der Studentenschaft; der liebenswürdige Idealis—
mus, der aus seinem ganzen Wesen sprach, die patriotische Wärme und
der leichte Redefluß seiner Vorträge erwarben ihm bei der Jugend ein
Ansehen, das vierzig Jahre lang unerschüttert blieb. Wer den wohl—
meinenden Mann nur nach seinen Büchern beurteilte, konnte sich diese
glänzenden Lehrer-Erfolge kaum erklären; seine historischen Schriften waren
arm an neuen Gedanken, noch ärmer an selbständiger Forschung, und
von der strengen Gedankenarbeit, welche die politische Wissenschaft ihren
Jüngern auferlegt, ahnte er so wenig, daß er schon in seinem einund—
dreißigsten Jahre (1811) wohlgemut ein an harmlosen Gemeinplätzen
überreiches Handbuch der Staatsweisheit herausgeben konnte.
Wie anders als die ehrbar langweilige Nemesis ging die Isis ins
Zeug, wohl die sonderbarste politische Zeitschrift unserer Geschichte, ein
unvergleichliches Probstück gelehrter Narrheit. Als Naturforscher hatte
sich Oken trotz mancher Wunderlichkeiten einen wohlverdienten Ruhm er—
worben; in den politischen Kampf brachte er kein anderes Rüstzeug mit,
als eine grundehrliche vaterländische Begeisterung, einige unklare demo—
kratische Begriffe, eine unersättliche Rauflust und den kindlichen Wahn,
daß die freie Presse alle Wunden, die sie geschlagen, auch wieder heilen
werde. „Die Geschichte“, so rief er in seiner Ankündigung „schreitet daher
als ein schauerlicher Riese über Strom und Felsen, über Loco sigilli
und Schlagbäume, lachend über solche Anstalten, welche Geist und Sinn
fangen wollen und im Fang überpurzeln. Alles ist gut und alles muß
zugelassen werden.“ Seine Leser sollten den Sinn und den Unsinn der
Zeit, die Würde wie die Petulanz kennen lernen; selbst die Grobheit,
die Lüge und Verleumdung schloß er nicht aus und befahl den Ange—
griffenen im voraus, sich nur literarisch zu rächen. Der burschikose Auf—
ruf fand nur zu willige Hörer. Alle Hitzköpfe der gelehrten Welt gaben
sich ein Stelldichein auf dem großen Fechtboden dieser „Encyklopädischen
Zeitung"“. Da standen neben zoologischen Bildern und Abhandlungen —
dem einzigen Guten, was die Zeitschrift brachte — akademische Skandal-
geschichten und literarische Klopffechtereien jeder Art; selbst ein hämischer
Artikel der Edinburgh Review gegen Goethes Wahrheit und Dichtung ward
mit unverhohlenem Behagen abgedruckt, und dann wieder politische Ab-
handlungen sowie zahllose Schmerzensrufe und Anklagen wider angebliche
Behördenwillkür. Das alles im Tone des Bierhauses, im „Okenschen
Tone“, wie man bald zu sagen pflegte — frech, geschmacklos, höhnisch;
fast jede neue Nummer der Isis rief neuen Zank hervor. Da der reiche
Vorrat der deutschen Superlative schon nicht mehr ausreichte, so zog
Oken die Holzschneider zu Hilfe und ließ Eselsköpfe, Gänse, Kannibalen,
Juden= und Pfaffengesichter oder auch eine Knute, einen Stock, ein zum
Fußtritt erhobenes Bein neben die Namen seiner Gegner setzen, so daß