K. M. v. Weber. 55
die Mehrzahl der großen Tonsetzer gehörte durch die Geburt oder durch
langen Aufenthalt den österreichischen Landen an, die an der Arbeit
unserer Dichtung so wenig Anteil nahmen, und fand gerade dort das
freudigste Verständnis.
Noch bei Mozarts Lebzeiten trat jener Gegensatz des Naiven und des
Sentimentalen hervor, der, im Wesen aller Künste begründet, in den
Zeiten ihrer reichsten Entfaltung sich unfehlbar offenbaren muß. Wie
einst Michel Angelo neben Rafael, Schiller neben Goethe, so erschien
Beethoven neben Mozart, ein pathetischer Genius, der mit dämonischer
Kraft fast über die Schranken seiner Kunst hinaus ins Unendliche strebte,
ein Sänger der Freiheit, des männlichen Stolzes, ganz erfüllt von den
Ideen der Menschenrechte. Die Widmung seiner Eroica, die er dem
Erben der Revolution, Bonaparte zugedacht hatte, zerriß er und trat sie
mit Füßen als er von den Gewalttaten des Despoten erfuhr. Nie schuf
er Größeres als wenn er den uralten Lieblingsgedanken der freien Ger-
manen, den Sieg des hellen Geistes über das dumpfe Verhängnis schil-
derte, wie in der C moll-Symphonie. War er doch selber, der taube
Beherrscher der Töne, ein lebendiger Zeuge für die Wunderkraft des
gottbegeisterten Willens. Selbst die blasierte Gesellschaft des Wiener Kon-
gresses riß er hin durch das hohe Lied der Treue, den Fidelio; dem ver-
wegenen Fluge seiner symphonischen Tondichtungen aber vermochte erst
ein späteres Geschlecht ganz zu folgen.
Die Entwicklung unserer Musik trug von Haus aus einen rein
nationalen Charakter, sie konnte daher auch von den romantischen Stim-
mungen und den großen Ereignissen der Zeit nicht unberührt bleiben.
Gleich nach dem Kriege gab Karl Maria von Weber dem Schwertliede,
dem Liede von Lützows wilder Jagd und anderen Gesängen Körners die
musikalische Gestaltung, die ihnen erst die Unvergänglichkeit sicherte und
in tausenden junger Herzen die Begeisterung des Befreiungskrieges wach
hielt. Ein bewußter Vorkämpfer vaterländischer Gesinnung und Bildung,
übernahm er sodann die Leitung der neugegründeten deutschen Opern-
gesellschaft in Dresden, und ihm gelang, die italienische Opernbühne, die
der Hof nach der Gewohnheit des alten Jahrhunderts noch als die vor-
nehmere begünstigte, gänzlich in den Schatten zu stellen; selbst die Presse
rief er zu Hilse um seine Landsleute in das Verständnis der heimischen
Kunst einzuweihen. In Holstein geboren, aber durch Abstammung und
Gemüt ein echter Osterreicher, war er auf weiten Wanderfahrten fast
in jedem Winkel deutscher Erde mit Land und Leuten wohl vertraut ge-
worden; und recht aus dem Herzen seines Volkes heraus schuf er die
erste deutsche romantische Oper, den Freischütz, ein Werk voll jugendlicher
Frische, das alle Lust und allen Spuk des deutschen Waldes so naiv und
treu schilderte, daß die Nachwelt sich heute kaum vorstellen kann, es hätte
jemals eine Zeit gegeben, da der deutsche Waidmann noch nicht zu den