Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

56 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. 
Klängen des Waldhorns sang: was gleicht wohl auf Erden dem Jäger- 
vergnügen? Zur selben Zeit erhielt das deutsche Lied durch einen fromm 
bescheidenen Wiener Künstler, Franz Schubert, seine höchste Ausbildung; 
die ganze Tonleiter der geheimsten Seelenstimmungen stand ihm zu Ge- 
bote, namentlich die milde Schönheit der Goetheschen Dichtung zog ihn 
an. Bald nachher fanden Uhlands Lieder an dem Schwaben Konradin 
Kreutzer einen kongenialen Komponisten. 
Von jenem katholisierenden Wesen, das so viele Poeten der Romantik 
ankränkelte, hielt sich die romantische Musik völlig frei, obgleich die mei- 
sten unserer namhaften Tonsetzer der katholischen Kirche angehörten. Sie 
sprach schlicht und recht das Allen Gemeinsame aus, sie verwirklichte 
durch die Tat das von den romantischen Dichtern so oft gepriesene, aber 
nur von Uhland wirklich erreichte Ideal der volkstümlichen Kunst; und 
da der Dilettantismus in keiner Kunst ein so gutes Recht hat wie in der 
Musik, so zog sie auch bald das Volk selber zu freier Mitwirkung heran. 
Schon in den neunziger Jahren waren Berliner Musikfreunde zu der 
Singakademie zusammengetreten um bei der Aufführung Händelscher Ora- 
torien und ähnlicher Werke den Chorgesang zu übernehmen. Zelter, der 
derbe, warmherzige Freund Goethes stiftete dann im Jahre 1808 zu 
Berlin die erste deutsche Liedertafel, einen kleinen Kreis von Dichtern, 
Sängern und Komponisten zur Pflege des Gesanges. Mehrere andere 
norddeutsche Städte folgten nach. In dem preußischen Volksheere nahm 
während der Kriege das fröhliche Singen kein Ende; die Lützowsche Frei- 
schar besaß bereits einen geschulten Sängerchor, und ihr Beispiel fand 
nach dem Frieden in vielen preußischen Regimentern Nachahmung. 
Da gab zur rechten Stunde (1817) der Schweizer Nägeli die Gesang- 
bildungslehre für Männerchor heraus; er nannte den Chorgesang „das 
eine, allgemein mögliche Volksleben im Reiche der höheren Kunst“ und for- 
derte die ganze Nation zur Teilnahme auf. Sieben Jahre später entstand 
dann der Stuttgarter Liederkranz, das Vorbild für die zahlreichen Lieder- 
kränze Süd= und Mitteldeutschlands, die nach der zwanglosen, demokra- 
tischen Weise des Oberlandes von vornherein auf eine größere Mitglieder- 
zahl berechnet waren, als die mehr häuslich eingerichteten Liedertafeln des 
Nordens, und sich nicht scheuten mit öffentlichen Aufführungen und Sän- 
gerfesten vor das Volk hinauszutreten. Die Musik wurde die gesellige 
Kunst des neuen Jahrhunderts, wie die Beredsamkeit im Zeitalter des 
Cinquecento, ein unentbehrlicher Schmuck für jedes deutsche Fest, recht 
eigentlich ein Stolz der Nation. In allen Gauen erwachte die Sanges- 
lust, wie nie mehr seit den Tagen der Meistersinger. Man empfand 
lebhaft, wie mit dieser neuen edleren Geselligkeit ein freierer Luftzug in 
das Volksleben kam, und rühmte gern, daß „vor des Gesanges Macht der 
Stände lächerliche Schranken fielen“. Unzählige kleine Leute empfingen 
allein durch den Gesang die Ahnung einer reinen, über dem Staub und
	        
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