Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

116 III. 2. Die letzten Reformen Hardenberg's. 
praktischem Verstande, der in Wahrheit keiner Partei angehörte, aber die 
agrarischen Interessen eifrig vertrat und darum bei den Liberalen bald 
in den Geruch junkerhafter Gesinnung kam, während ihn seine Standes- 
genossen als unruhigen Kopf beargwöhnten. Er war kein unbedingter 
Gegner des Staatskanzlers und billigte mindestens einen Theil der neuen 
Reformgesetze. Jetzt aber meinte er die legitime Machtstellung des Groß- 
grundbesitzes bedroht; er verwahrte sich gegen eine bureaukratische Politik, 
welche dem Adel die Mehrheit auf den Kreistagen rauben wolle, und ge- 
langte zu dem Schluß: Benzenberg's Buch beweise, wie weit die preu- 
Hische Revolution, gefördert durch die Staatsverwaltung selbst, schon fort- 
geschritten sei. — 
Alle diese Feinde ließen sich überwinden, so lange der König seinen 
Kanzler hielt. Schon oft war Friedrich Wilhelm wegen der Folgen der 
übereilten Verfassungszusage besorgt gewesen; zuletzt hatte er sich doch 
immer wieder mit der Politik Hardenberg's ausgesöhnt, ja soeben erst das 
alte Versprechen feierlich erneuert und durch neue Verheißungen verstärkt, 
die den Staatscredit, wenn man sie nicht ausführte, schwer zu erschüttern 
drohten. Der Staatskanzler fühlte sich ganz sicher und ließ noch zu Ende 
August in der Staatszeitung das Gerücht, daß man sich mit Provinzial- 
ständen begnügen wolle, als eine böswillige Erfindung scharf zurückweisen. 
Doch fast im nämlichen Augenblicke erhielt der König die unglücklichen 
Entwürfe der Communalordnungs-Commission. Er sah sofort, daß die 
preußische Verfassung auf so schwankem Boden unmöglich aufgeführt wer- 
den konnte, und von Stund an begann er sich von Hardenberg wieder 
abzuwenden. Diesmal für immer. 
Die Schrift Benzenberg's verstimmte ihn tief; er las sie sorgfältig und 
schrieb mißbilligende Bemerkungen an den Rand, die dem Kanzler nachher 
durch Wittgenstein zugetragen wurden.)) Je näher ihm das Schreck- 
bild der Reichsstände jetzt auf den Leib rückte, um so heftiger sträubte 
sich sein innerstes Wesen dawider: glückverheißende Thronreden und dank- 
erfüllte Kammeradressen, die dem lustigen Max Joseph von Baiern so 
viel Vergnügen bereiteten, waren dem schüchternen Friedrich Wilhelm 
furchtbar. Sein Argwohn gegen die Demagogen hatte sich noch nicht ge- 
legt. Da er den Grafen Gröben, der als Bekannter von Görres un- 
gerecht verdächtigt worden war, seines unveränderten Wohlwollens versicherte, 
konnte er doch die Bemerkung nicht unterdrücken: „selbst die frühere Ver- 
bindung mit einem Manne von weniger bewährten Gesinnungen wird 
mein Vertrauen gegen Sie nicht verringern.“““) Und dem badischen Ge- 
sandten General Stockhorn, der ihm von der wohlthätigen Wirkung der 
Karlsbader Beschlüsse sprach, gab er zur Antwort: „Ist wohl wahr, aber 
  
*) Hardenberg's Tagebuch, 9., 10. Nov. 1820. 
*“) König Friedrich Wilhelm an Gröben, 15. Febr. 1820.
	        
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