12 III. 1. Die Wiener Conferenzen.
Der Rechtsboden, auf dem die Conferenzen selber fußten, war nach
der Bundesverfassung keineswegs unanfechtbar. Ganz so bescheiden wie
in seinem Einladungsschreiben erklärte Metternich bei Eröffnung der Con-
ferenzen am 25. November: diese Versammlung sei kein Congreß und
habe keine eigentlichen Beschlüsse zu fassen, sondern solle sich nur „auf
eine vorbereitende, aber verbindliche Weise“ zu einer gemeinsamen Be-
handlung der Bundesangelegenheiten vereinigen; sie beabsichtige nicht den
Wirkungskreis des Bundestags zu verengen, wohl aber den Umfang und
die Grenzen dieses Geschäftskreises zu bestimmen. Da der Bundestag bis-
her noch keine der verheißenen organischen Einrichtungen zu Stande ge-
bracht hatte, so lag allerdings der Gedanke nahe, ihm zu Hilfe zu kommen
durch eine vertrauliche Berathung zwischen den leitenden Staatsmännern
selber, welche weder durch den schleppenden Geschäftsgang der Bundes-
versammlung noch durch das Gaukelspiel der Instruktionseinholung gelähmt
wurde; hier in Wien war ja nicht, wie einst in Karlsbad, nur eine Partei,
sondern die Gesammtheit der Bundesglieder vertreten. Aber der Art. 10
der Bundesakte hatte der Bundesversammlung die Abfassung der Grund-
gesetze ausdrücklich als ihr erstes Geschäft zugewiesen; nahm man ihr diese
Aufgabe ab, so ward ihr Ansehen, das ohnehin seit den September-
beschlüssen tief gesunken war, vollends zerstört und die hoffnungslose Nich-
tigkeit der deutschen Centralgewalt vor aller Welt eingestanden. Welch
ein lächerlicher Anblick: während in Wien über den Ausbau der Bundes-
verfassung verhandelt wurde, hielt die höchste deutsche Behörde von Ende
September bis zum 20. Januar gemächlich ihre Ferien, und dann erschien
Graf Buol, der unterdessen die Befehle der Wiener Versammlung ein-
geholt hatte, um nochmals eine Vertagung bis zum 10. April zu be-
antragen. Umsonst versuchten halbamtliche Zeitungsartikel die öffentliche
Meinung zu beschwichtigen durch die Versicherung, daß die Commissionen
unablässig weiter arbeiteten; die Nation wußte so gut wie die Bundes-
gesandten selber, daß die Maschine in Frankfurt vollkommen still stand.)
Sieben Monate lang gab der Bundestag nur einmal ein nennenswerthes
Lebenszeichen von sich: als er den französischen Hof ersuchte, den „Elsasser
Patrioten“, ein gemeinsames Organ der Liberalen beider Rheinufer zu
unterdrücken.)
Mittlerweile schwoll den Wiener Conferenzen der Stoff unter den
Händen an; ihr erster Ausschuß, der die Competenz des Bundes feststellen
sollte, sah sich genöthigt, fast alle die schweren Principienfragen des Bundes-
rechts zu erörtern, und ganz von selbst erhob sich die Frage, ob es nicht
zweckmäßig sei, die also vereinbarten Grundsätze in einem großen Bundes-
Verfassungsgesetze zusammenzufassen. Nachdem die Mehrheit sich in der
*) Goltz's Berichte, 18., 25. Jan. 1820.
**) Goltz's Berichte, 15. Febr., 27. April 1820.