Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

12 III. 1. Die Wiener Conferenzen. 
Der Rechtsboden, auf dem die Conferenzen selber fußten, war nach 
der Bundesverfassung keineswegs unanfechtbar. Ganz so bescheiden wie 
in seinem Einladungsschreiben erklärte Metternich bei Eröffnung der Con- 
ferenzen am 25. November: diese Versammlung sei kein Congreß und 
habe keine eigentlichen Beschlüsse zu fassen, sondern solle sich nur „auf 
eine vorbereitende, aber verbindliche Weise“ zu einer gemeinsamen Be- 
handlung der Bundesangelegenheiten vereinigen; sie beabsichtige nicht den 
Wirkungskreis des Bundestags zu verengen, wohl aber den Umfang und 
die Grenzen dieses Geschäftskreises zu bestimmen. Da der Bundestag bis- 
her noch keine der verheißenen organischen Einrichtungen zu Stande ge- 
bracht hatte, so lag allerdings der Gedanke nahe, ihm zu Hilfe zu kommen 
durch eine vertrauliche Berathung zwischen den leitenden Staatsmännern 
selber, welche weder durch den schleppenden Geschäftsgang der Bundes- 
versammlung noch durch das Gaukelspiel der Instruktionseinholung gelähmt 
wurde; hier in Wien war ja nicht, wie einst in Karlsbad, nur eine Partei, 
sondern die Gesammtheit der Bundesglieder vertreten. Aber der Art. 10 
der Bundesakte hatte der Bundesversammlung die Abfassung der Grund- 
gesetze ausdrücklich als ihr erstes Geschäft zugewiesen; nahm man ihr diese 
Aufgabe ab, so ward ihr Ansehen, das ohnehin seit den September- 
beschlüssen tief gesunken war, vollends zerstört und die hoffnungslose Nich- 
tigkeit der deutschen Centralgewalt vor aller Welt eingestanden. Welch 
ein lächerlicher Anblick: während in Wien über den Ausbau der Bundes- 
verfassung verhandelt wurde, hielt die höchste deutsche Behörde von Ende 
September bis zum 20. Januar gemächlich ihre Ferien, und dann erschien 
Graf Buol, der unterdessen die Befehle der Wiener Versammlung ein- 
geholt hatte, um nochmals eine Vertagung bis zum 10. April zu be- 
antragen. Umsonst versuchten halbamtliche Zeitungsartikel die öffentliche 
Meinung zu beschwichtigen durch die Versicherung, daß die Commissionen 
unablässig weiter arbeiteten; die Nation wußte so gut wie die Bundes- 
gesandten selber, daß die Maschine in Frankfurt vollkommen still stand.) 
Sieben Monate lang gab der Bundestag nur einmal ein nennenswerthes 
Lebenszeichen von sich: als er den französischen Hof ersuchte, den „Elsasser 
Patrioten“, ein gemeinsames Organ der Liberalen beider Rheinufer zu 
unterdrücken.) 
Mittlerweile schwoll den Wiener Conferenzen der Stoff unter den 
Händen an; ihr erster Ausschuß, der die Competenz des Bundes feststellen 
sollte, sah sich genöthigt, fast alle die schweren Principienfragen des Bundes- 
rechts zu erörtern, und ganz von selbst erhob sich die Frage, ob es nicht 
zweckmäßig sei, die also vereinbarten Grundsätze in einem großen Bundes- 
Verfassungsgesetze zusammenzufassen. Nachdem die Mehrheit sich in der 
  
*) Goltz's Berichte, 18., 25. Jan. 1820. 
**) Goltz's Berichte, 15. Febr., 27. April 1820.
	        
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