Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Der Erbvergleich. 569 
neben dem wendischen Kreise auch das Großherzogthum Strelitz unter dem 
Namen des Stargardischen Kreises angehörte; beide Serenissimi führten 
nach altständischem Brauche genau den gleichen Titel als Großherzoge von 
Mecklenburg, Fürsten zu Wenden, Schwerin und Ratzeburg. In dieser 
ständischen Union war aber keineswegs das gesammte Land der beiden 
mecklenburgischen Großherzoge enthalten. Stadt und Gebiet von Wis- 
mar, welche die Krone Schweden erst im Jahre 1803 pfandweise zurück- 
gegeben hatte, wurden nicht wieder in die Ritter= und Landschaft auf- 
genommen, und das Fürstenthum Ratzeburg blieb als neue Erwerbung 
von vornherein ausgeschlossen: die Stadt Ratzeburg sandte ihren Ver- 
treter auf den Landtag des dänischen Herzogthums Lauenburg, der dem 
mecklenburgischen ähnlich war, aber vor dem Eingang ihres herrlichen 
alten Doms verkündeten zwei blaugelbrothe Laternenpfähle, daß hier die 
unbeschränkte Herrschaft des Strelitzer Großherzogs begann. Was hier 
einmal der historische Zufall geschaffen hatte, blieb für alle Zukunft un- 
abänderlich. Dicht an der preußischen Grenze lag ein Rittergut Wolde, 
das seit grauer Vorzeit weder Steuern zahlte noch Soldaten stellte, weil 
Pommern und Mecklenburg sich um die Staatshoheit stritten und Preußen 
den kleinen Nachbarn schlechterdings nicht zu einem gütlichen Vergleiche 
bewegen konnte. 
Ob ein Staat Mecklenburg überhaupt bestehe, blieb dem Rechtskun- 
digen zweifelhaft; gewiß war ein Staatsbürgerrecht nicht vorhanden. Die 
beiden Großherzoge herrschten in ihrem Kammergute, das reichlich zwei 
Fünftel des gesammten Gebietes umfaßte, ebenso unumschränkt wie die 
Ritter auf ihren Dörfern, die Magistrate in den Städten. Jede dieser 
Ortsobrigkeiten durfte Fremde in den Verband ihres Dorfes oder ihrer 
Bürgerschaft aufnehmen, und die also Aufgenommenen nannten sich Meck- 
lenburger, obgleich sie im ganzen übrigen Lande heimathlos waren. Auch 
im Handel und Wandel bestand keine Einheit. Die beiden Seestädte Rostock 
und Wismar erhoben ihre eigenen Zölle, und mitten im Lande mußten 
an 83 landesfürstliche Zollstellen Abgaben gezahlt werden — nach ver- 
schiedenen Zollrollen, von denen keine jünger war als zweihundert Jahre. 
Da aber die Ritter, ihre Pächter, sowie viele andere Privilegirte steuer- 
frei waren und den Genuß des trefflichen unverzollten Lübecker Bordeaur= 
weins zu ihren wohlerworbenen Standesrechten zählten, so warf dies 
wundersame Zollwesen nicht mehr als etwa 60,000 Thaler jährlich ab. 
Einmal im Jahre kamen die Stände mit prächtigen Gespannen nach einer 
der beiden Landtagsstädte Sternberg oder Malchin herübergefahren; die 
adlichen Vasallen prangten in den rothen Röcken, die den bürgerlichen 
hartnäckig versagt blieben. Die Ritterschaft zählte an 700 Virilstimmen; 
die Landschaft war durch 45 Bevollmächtigte der Magistrate vertreten. 
Keine Rede von einer Geschäftsordnung, von einer geregelten Verhand- 
lung; oft sprachen zwei, drei Redner zugleich. Jeder Landstand konnte
	        
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