Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

50 III. 1. Die Wiener Conferenzen. 
so andächtig aufbewahrte, entging dem Vaterauge Metternich's nicht, und 
sofort ward der badische Minister in einem langen eigenhändigen Briefe 
zu kräftigem Einschreiten ermahnt: „wenn solche Versuche ganz ungeahndet 
stattfinden, wird der Krebsschaden ewig ungeheilt bleiben.“) 
So lange der badische Hof noch auf Oesterreichs Unterstützung rech- 
nete, rüstete er sich zum offenen Kampfe wider seine Landstände; er ver- 
weigerte einigen liberalen Beamten den Urlaub für den Landtag und rief 
die Mainzer Demagogencommission an, um den Heidelberger Buchhändler 
Winter, den tapferen Anwalt der Preßfreiheit, in eine politische Unter- 
suchung zu verwickeln..“) Aber als der Landtag im Juni zusammentrat 
und sofort die Einberufung seiner sämmtlichen Mitglieder verlangte, da 
war auf auswärtige Hilfe nicht mehr zu rechnen; auch die Nachrichten 
von den Fortschritten der Revolution in Südeuropa beängstigten den Hof. 
Die Regierung zog daher die Urlaubsverweigerung zurück, Winter wurde 
durch gerichtlichen Spruch auf freien Fuß gesetzt, und nunmehr begegnete 
Berstett den Ständen mit überraschender Freundlichkeit. Ernüchtert durch 
die bitteren Erfahrungen der letzten Monate trat auch die Mehrheit des 
Landtags diesmal behutsamer auf. Mehrere Abgeordnete waren durch 
Gnadenbeweise des Hofes gewonnen, einzelne geradezu bestochen; ganz un- 
befangen gestand der Großherzog dem preußischen Gesandten, das gute 
Einvernehmen mit diesen Herren koste Geld.“) Genug, so stürmisch 
dieser Landtag begonnen, so ruhig war sein Ende. 
Nach einer freimüthigen Rede Rotteck's versprach die Regierung, ihr 
hartes Preß-Edikt, das im ganzen Lande nur vier politische Zeitungen er- 
laubte, bis auf das Maß der Karlsbader Beschlüsse zu mildern; einige 
wohlthätige Gesetze über die Aufhebung grundherrlicher Abgaben wurden 
vereinbart, auch über den Staatshaushalt traf man ein Abkommen durch 
Bewilligung einer Bauschsumme. Im September ward der Landtag fried- 
lich entlassen, und froh aufathmend meldete Berstett dem nassauischen 
Freunde, durch seine Milde gegen die Stände habe er sich für zwei Jahre 
Ruhe verschafft. Die beiden Ultras der Wiener Conferenz begannen jetzt 
doch zu glauben, daß die neuen Verfassungen, wenn man sie nur zu 
handhaben wisse, erträglich, ja sogar dem Particularismus förderlich wer- 
den könnten. „Die Landstände, meinte Marschall, individualisiren unsere 
Staaten mehr und mehr und tragen zur Vernichtung des Einheits- 
princips, welches die revolutionäre Partei vorzüglich im Auge hatte, immer 
mehr bei.“ Und als sein getreues Echo schrieb Berstett nach Wien: „durch 
die Aehnlichkeit der neuen Constitutionen in Süddeutschland ist keineswegs 
eine größere Annäherung der einzelnen Länder im Sinne unserer Deutsch- 
thümler bewirkt worden; es bildet sich vielmehr eine stets zunehmende ab- 
  
*) Metternich an Berstett, 23. Juni 1820. “) Berstett an Marschall, 10. Aug. 
1820.“) Küster's Bericht, Karlsruhe 22. Aug. 1820.
	        
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