Aufhebung der Leibeigenschaft. 575
Tage in der Woche für den gnädigen Herrn, der, wie der Pächter im
Domanium, mit Stock und Peitsche das Recht des Dienstzwangs übte und
bei schlechter Wirthschaft den Bauer unnachsichtlich abmeiern ließ.
Dies Bauernelend hatte Stein im Auge, wenn er das Schloß des
mecklenburgischen Edelmanns mit der Höhle des Raubthieres verglich, und
Schlözer, wenn er diese Ritter privilegirte Landesverräther nannte. Unter
solchen Eindrücken bildete sich Voß seinen leidenschaftlichen Haß gegen den
Erbadel, „dies stinkende Ehrenkleid aus der Lade der Ahnen“. Bei der
großen Nahrhaftigkeit des Landes war die Lage der Bauern nicht überall
unerträglich. Im „Hahn'schen“ hausten die Gutsunterthanen behaglicher
als anderswo die Freien; auch die Maltzan und andere durch ihren Ahnen-
stolz bekannte Familien sorgten immer väterlich für ihre Leute. Durch die
milderen Sitten der neuen Zeit ward allmählich der Dienstzwang etwas
erleichtert. Die Mehrzahl der kleinen Leute aber lebte in arger Roheit,
vielfach mißhandelt, in elenden Schulen kaum nothdürftig unterrichtet.
In dem Jahrzehnt der Revolution bekundete sich der Groll des armen
Mannes zum Schrecken des Adels in mehrfachen Aufläufen, und als der
Befreiungskrieg das gesammte Volk unter die Fahnen gerufen hatte, da
fühlte man endlich, daß man einlenken mußte. Auf dem Landtage von
1815 nahmen sich die Städte „der edlen Unfreien“ an, die für Deutsch-
land so wacker gefochten, und nach langen stürmischen Verhandlungen
ward am 18. Jan. 1820 die Aufhebung der Leibeigenschaft verkündigt —
seit unvordenklicher Zeit die erste sociale Reform in diesem Lande. Doch
die Selbstsucht der Ritterschaft hatte dafür gesorgt, daß der Bauer seiner
Freiheit nicht froh wurde. Er erlangte nur die Befreiung von der
Scholle, durchaus keinen Anspruch auf Grund und Boden. Wagte er
seinem Dienstherrn zu kündigen, so ward er heimathlos und erfuhr, was
der landläufige Jammerruf „kein Hüsung“ bedeutete; von einer Gutsherr-
schaft zur anderen abgeschoben mußte er schließlich in dem großen Land-
armenhause zu Güstrow eine Zuflucht suchen. Schon nach Jahresfrist
war das gewaltige alte Obotritenschloß zu klein um die Masse der neuen
Heimathlosen zu beherbergen, und der Landtag beschloß, die Grundherren
sollten fortan den befreiten Leibeigenen ein Obdach geben — was aber
war solch ein Obdach, von widerwilligen Händen gewährt? Von diesen
Ständen, Friedrich Franz wußte es längst, stand eine ernstliche Erleichte-
rung des Bauernstandes nicht zu erwarten; darum beschloß der Groß-
herzog mindestens selber mit gutem Beispiele voranzugehen und ließ seit
1822 auf seinen Kammergütern eine umfassende Auseinandersetzung vor-
nehmen. Er wünschte der Mehrzahl seiner bäuerlichen Hintersassen eine
wohlgesicherte Erbpacht zu verschaffen, aber der Schlendrian der Behörden
und die wundersam verfitzten Rechtsverhältnisse bewirkten, daß die wohl-
gemeinte Reform nur sehr langsam fortschritt.
Unter allen den hocharistokratischen Staaten, welche einst das Ost-