Das Manusecript aus Süddeutschland. 55
constitutionellen Leben erhoffte, die Verringerung der Steuerlasten wurde
dem Lande zu theil. In den größeren Verhältnissen Frankreichs und auch
in einigen der deutschen Mittelstaaten machte man sehr bald die Erfah-
rung, daß die politische Freiheit mit der Wohlfeilheit der Verwaltung
keineswegs Hand in Hand geht. Der constitutionelle Staat sah sich fast
überall gezwungen, den Umkreis seiner Thätigkeit beständig zu erweitern,
weil er den zahllosen Ansprüchen der bürgerlichen Gesellschaft, die jetzt in
den Kammern beredte Fürsprecher fanden, gerecht werden mußte; er leistete
mehr als der alte Absolutismus und war darum auch kostspieliger. Den
Württembergern blieb diese Enttäuschung vorläufig noch erspart, da der
unmäßige Aufwand des alten Hofes hinwegfiel und der König in allen
Zweigen der Verwaltung auf genaue Ordnung hielt. Das Land war
mit seinem gestrengen bureaukratischen Regimente und der Leidsamkeit
seines Landtags nicht unzufrieden.
Doch wie hätte der unstete Ehrgeiz König Wilhelms in den bescheidenen
Pflichten des landesfürstlichen Berufs seine Befriedigung finden können!
Die Niederlage, die er auf den Wiener Conferenzen erlitten, wurmte ihn
tief; eine Genugthuung mußte er sich verschaffen, und sei es auch mit ver-
schlossenem Visier. Vor Jahren, so lange Königin Katharina noch lebte,
hatte er wohl zuweilen in begehrlichen Träumen an die deutsche Königskrone
gedacht. So verwegene Hoffnungen bethörten ihn längst nicht mehr. Aber
jener Bund im Bunde, den ihm Wangenheim und Trott so verführerisch
zu schildern wußten, schien jetzt doch möglich, da ein Theil der Mittelstaaten
soeben mit dem römischen Stuhle gemeinsam verhandelte und die große
Darmstädter Berathung über den süddeutschen Zollverein nahe bevorstand.
Seit dem September 1820 wurde eine angeblich in London erschienene
Schrift „Manuscript aus Süddeutschland von George Erichson“ von
Stuttgart aus geschäftig verbreitet. Es war das Programm der Trias-
politik. Alle die boshaften Schmähungen, mit denen einst die Münchener
Alemannia ihre bairischen Leser gegen die Norddeutschen aufgestachelt hatte,
kehrten hier wieder, nur minder plump und darum gefährlicher: Berlin
hat die besten Schneider, Augsburg die besten Silberarbeiter; der schlaue,
unzuverlässige Norddeutsche ist im Felde nur als Husar und Freibeuter
zu verwenden, die stämmigen Bauern des Südens bilden den Kern der
deutschen Heere; eine politische Verbindung zwischen den beweglichen Handels-
leuten des Nordens und dem seßhaften Volke des Oberlandes mag
in Jahrhunderten vielleicht möglich werden, heutzutage ist sie ebenso un-
haltbar wie die Vereinigung der Engländer und der Schotten zur Zeit
Eduard's I. Aber während Aretin und Hörmann ihre particularistischen
Absichten nie verhehlt hatten, erhob dieser neue Zwietrachtprediger den
Anspruch, der nationalen Politik die Bahnen zu weisen. Eine polnische
Theilung, so führte er aus, hat sich unbemerkt an Deutschland vollzogen,
von den neunundzwanzig Millionen Einwohnern des Deutschen Bundes