Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Das Manusecript aus Süddeutschland. 55 
constitutionellen Leben erhoffte, die Verringerung der Steuerlasten wurde 
dem Lande zu theil. In den größeren Verhältnissen Frankreichs und auch 
in einigen der deutschen Mittelstaaten machte man sehr bald die Erfah- 
rung, daß die politische Freiheit mit der Wohlfeilheit der Verwaltung 
keineswegs Hand in Hand geht. Der constitutionelle Staat sah sich fast 
überall gezwungen, den Umkreis seiner Thätigkeit beständig zu erweitern, 
weil er den zahllosen Ansprüchen der bürgerlichen Gesellschaft, die jetzt in 
den Kammern beredte Fürsprecher fanden, gerecht werden mußte; er leistete 
mehr als der alte Absolutismus und war darum auch kostspieliger. Den 
Württembergern blieb diese Enttäuschung vorläufig noch erspart, da der 
unmäßige Aufwand des alten Hofes hinwegfiel und der König in allen 
Zweigen der Verwaltung auf genaue Ordnung hielt. Das Land war 
mit seinem gestrengen bureaukratischen Regimente und der Leidsamkeit 
seines Landtags nicht unzufrieden. 
Doch wie hätte der unstete Ehrgeiz König Wilhelms in den bescheidenen 
Pflichten des landesfürstlichen Berufs seine Befriedigung finden können! 
Die Niederlage, die er auf den Wiener Conferenzen erlitten, wurmte ihn 
tief; eine Genugthuung mußte er sich verschaffen, und sei es auch mit ver- 
schlossenem Visier. Vor Jahren, so lange Königin Katharina noch lebte, 
hatte er wohl zuweilen in begehrlichen Träumen an die deutsche Königskrone 
gedacht. So verwegene Hoffnungen bethörten ihn längst nicht mehr. Aber 
jener Bund im Bunde, den ihm Wangenheim und Trott so verführerisch 
zu schildern wußten, schien jetzt doch möglich, da ein Theil der Mittelstaaten 
soeben mit dem römischen Stuhle gemeinsam verhandelte und die große 
Darmstädter Berathung über den süddeutschen Zollverein nahe bevorstand. 
Seit dem September 1820 wurde eine angeblich in London erschienene 
Schrift „Manuscript aus Süddeutschland von George Erichson“ von 
Stuttgart aus geschäftig verbreitet. Es war das Programm der Trias- 
politik. Alle die boshaften Schmähungen, mit denen einst die Münchener 
Alemannia ihre bairischen Leser gegen die Norddeutschen aufgestachelt hatte, 
kehrten hier wieder, nur minder plump und darum gefährlicher: Berlin 
hat die besten Schneider, Augsburg die besten Silberarbeiter; der schlaue, 
unzuverlässige Norddeutsche ist im Felde nur als Husar und Freibeuter 
zu verwenden, die stämmigen Bauern des Südens bilden den Kern der 
deutschen Heere; eine politische Verbindung zwischen den beweglichen Handels- 
leuten des Nordens und dem seßhaften Volke des Oberlandes mag 
in Jahrhunderten vielleicht möglich werden, heutzutage ist sie ebenso un- 
haltbar wie die Vereinigung der Engländer und der Schotten zur Zeit 
Eduard's I. Aber während Aretin und Hörmann ihre particularistischen 
Absichten nie verhehlt hatten, erhob dieser neue Zwietrachtprediger den 
Anspruch, der nationalen Politik die Bahnen zu weisen. Eine polnische 
Theilung, so führte er aus, hat sich unbemerkt an Deutschland vollzogen, 
von den neunundzwanzig Millionen Einwohnern des Deutschen Bundes
	        
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