Preußens Sieg. 675
Preußen vollzog mit jenen zwei Verträgen nur eine That erlaubter
Kriegslist wider erklärte Gegner, und doch keinen feindseligen Schritt,
keine gehässige Retorsion. Die Niederlage des mitteldeutschen Vereins
war um so vollständiger, da Niemand das Recht hatte sich über Preußen
zu beklagen. Während sonst die Handelspolitik den Feind durch Handels-
erschwerungen zu schlagen sucht, entwaffneten Motz und Eichhorn den
Casseler Sonderbund durch die Erleichterung des deutschen Verkehrs; sie
konnten sogar den Dank der Mitteldeutschen beanspruchen für die Er—
öffnung einer zollfreien Straße. Den beiden thüringischen Fürsten freilich
gereichte der Hergang nicht zur Ehre. Verlockt durch die Aussicht auf
den Besitz einer großen Handelsstraße wurden die Herzöge zu Verräthern
an ihren mitteldeutschen Verbündeten. Sie verletzten zwar nicht den
Wortlaut, doch den Sinn des Casseler Vertrags, der den Bundesgenossen
allerdings den Abschluß von Handelsverträgen gestattete, aber unzweifel—
haft den Zweck verfolgte, die Erweiterung des preußischen Zollsystems
zu verhindern. Das böse Beispiel weckte bald Nachahmung. Der mittel—
deutsche Verein, gegründet durch particularistische Selbstsucht, sollte ein
würdiges Ende finden; er sollte nach und nach zerbröckeln durch ein
frivoles Spiel mit Treu' und Glauben.
Zugleich bereitete Motz in diesem thatenreichen Sommer den Mittel—
deutschen noch eine Ueberraschung, die ihrem Handel Segen, ihrem Sonder—
bunde Verderben brachte. Er verständigte sich mit den Niederlanden über
die Rheinschifffahrt und eröffnete also seinen süddeutschen Verbündeten
die Aussicht auf freien Verkehr mit der Nordsee.“) Sobald der britische
Kaufmann seine Waaren zollfrei rheinaufwärts bis nach Frankfurt und
Mannheim senden konnte, mußte England das Interesse an dem mittel—
deutschen Vereine verlieren, und dem Sonderbunde war eine mächtige
Stütze entzogen. —
Nach so gründlichen Niederlagen hätten ernsthafte Staatsmänner
den Sonderbund als einen verunglückten Versuch sofort aufgeben und eine
Verständigung mit den überlegenen Zollvereinen des Südens und des
Nordens suchen müssen. Doch die unverwüstliche Zanksucht dieser kleinen
Höfe wollte nicht Frieden halten, ihr Dünkel sträubte sich gegen ein be—
schämendes Geständniß. Der sächsische Gesandte in Wien Graf Schulenburg
wußte Wunder zu berichten von den Handelserleichterungen, die Metternich
in allgemeinen Andeutungen dem Vereine versprach; ähnliche Zusagen,
ebenso unbestimmt gehalten, gab der französische Gesandte Graf Fenelon
dem Nassauer Hofe. In Hannover lebte ungebrochen der alte Welfenstolz;
Graf Münster bot alle kleinen Künste auf, um den Meininger Herzog
durch seine Schwester, die Herzogin von Clarence, von Preußen ab-
zuziehen. Im Februar 1829 war Varnhagen von Ense von der preußischen
7) S. o. III. 473.
43“