62 III. 1. Die Wiener Conferenzen.
durfte. Die Fürsten und Grafen waren mit Alledem nicht befriedigt und
blieben, bis auf Einen, sämmtlich dem Landtage fern, obschon sie selbst
schon vor Jahren die Berufung der Stände stürmisch verlangt hatten.“)
Durch Grolmann's Klugheit wurde die Gefahr noch zur rechten Zeit be—
schworen. Nüchtern genug um die Stimmung des Landes richtig zu wür—
digen und bescheiden genug um den begangenen Mißgriff einzugestehen,
bewog er den Großherzog zur Nachgiebigkeit. In einer gnädigen Antwort
gewährte der alte Herr die Bitte der Gagern'schen Partei und versprach,
daß den Ständen einige organische Gesetze zur Ergänzung des März-Edikts
vorgelegt werden sollten. Nach dieser Zusage ließen auch mehrere Mit—
glieder der entschiedenen Opposition ihren Widerspruch fallen, und am
27. Juni konnte der Landtag endlich eröffnet werden. Die unbelehrbaren
Eidverweigerer wurden aus der Kammer ausgeschlossen, und die Neu—
wahlen vollzogen sich überall ohne Widerstand. Der Landtag errang sich
sogleich die Oeffentlichkeit seiner Sitzungen und damit ein großes Ansehen,
da das gesammte Volk mit gespannter Aufmerksamkeit den Berathungen
folgte; aber er mißbrauchte seine Macht nicht, die Minister kamen ihm
willfährig entgegen, und unter der sachkundigen Leitung des Präsidenten
Eigenbrodt, des berühmten Forstmannes, nahmen die Verhandlungen
anfangs einen friedlichen Verlauf.
Alles schien auf dem besten Wege. Sogar Marschall, der bisher
nach seiner Weise die Darmstädter Demagogen bei allen Höfen verlästert
hatte, meinte jetzt beruhigt: die Regierung habe das Heft in der Hand
behalten, das monarchische Princip sei genugsam gewahrt.“) Grolmann
aber mußte bald fühlen, wie schwer es hielt, selbst mit dieser besonnenen
Kammer zum Abschluß zu gelangen. Er befand sich in einer unhaltbaren
Stellung; denn die Gesetzentwürfe über staatsbürgerliche Rechte, über
Ministerverantwortlichkeit und Steuerbewilligungsrecht, welche er jetzt dem
Landtage vorlegte, enthielten in Wahrheit nicht die Ergänzung, sondern
die Aufhebung des März-Edikts, und unter den Abgeordneten äußerte sich
immer vernehmlicher das Verlangen, daß auch Hessen, wie die anderen
süddeutschen Staaten eine förmliche, das gesammte Staatsrecht umfassende
Verfassungsurkunde erhalten müsse. Wie viel einfacher doch, wenn man
den Ständen diesen Herzenswunsch erfüllte! Der Minister berieth sich ins—
geheim mit seinem Schwager, dem Kanzler der Universität Gießen, Arens,
einem namhaften Juristen, dann mit Staatsrath Hofmann, der das
Finanzwesen sehr geschickt leitete, endlich auch mit einem jüngeren liberalen
Beamten, Geh. Rath Jaup. Mit Ausnahme Jaup's war keiner dieser
vier Männer constitutionell gesinnt, sie Alle betrachteten eine Verfassung
besten Falles als ein nothwendiges Uebel, Arens gehörte sogar zu der
*) Eingabe der Standesherren an den Großherzog, März 1816.
**) Marschall an den Herzog von Nassau, 30. Juni 1820.