Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

62 III. 1. Die Wiener Conferenzen. 
durfte. Die Fürsten und Grafen waren mit Alledem nicht befriedigt und 
blieben, bis auf Einen, sämmtlich dem Landtage fern, obschon sie selbst 
schon vor Jahren die Berufung der Stände stürmisch verlangt hatten.“) 
Durch Grolmann's Klugheit wurde die Gefahr noch zur rechten Zeit be— 
schworen. Nüchtern genug um die Stimmung des Landes richtig zu wür— 
digen und bescheiden genug um den begangenen Mißgriff einzugestehen, 
bewog er den Großherzog zur Nachgiebigkeit. In einer gnädigen Antwort 
gewährte der alte Herr die Bitte der Gagern'schen Partei und versprach, 
daß den Ständen einige organische Gesetze zur Ergänzung des März-Edikts 
vorgelegt werden sollten. Nach dieser Zusage ließen auch mehrere Mit— 
glieder der entschiedenen Opposition ihren Widerspruch fallen, und am 
27. Juni konnte der Landtag endlich eröffnet werden. Die unbelehrbaren 
Eidverweigerer wurden aus der Kammer ausgeschlossen, und die Neu— 
wahlen vollzogen sich überall ohne Widerstand. Der Landtag errang sich 
sogleich die Oeffentlichkeit seiner Sitzungen und damit ein großes Ansehen, 
da das gesammte Volk mit gespannter Aufmerksamkeit den Berathungen 
folgte; aber er mißbrauchte seine Macht nicht, die Minister kamen ihm 
willfährig entgegen, und unter der sachkundigen Leitung des Präsidenten 
Eigenbrodt, des berühmten Forstmannes, nahmen die Verhandlungen 
anfangs einen friedlichen Verlauf. 
Alles schien auf dem besten Wege. Sogar Marschall, der bisher 
nach seiner Weise die Darmstädter Demagogen bei allen Höfen verlästert 
hatte, meinte jetzt beruhigt: die Regierung habe das Heft in der Hand 
behalten, das monarchische Princip sei genugsam gewahrt.“) Grolmann 
aber mußte bald fühlen, wie schwer es hielt, selbst mit dieser besonnenen 
Kammer zum Abschluß zu gelangen. Er befand sich in einer unhaltbaren 
Stellung; denn die Gesetzentwürfe über staatsbürgerliche Rechte, über 
Ministerverantwortlichkeit und Steuerbewilligungsrecht, welche er jetzt dem 
Landtage vorlegte, enthielten in Wahrheit nicht die Ergänzung, sondern 
die Aufhebung des März-Edikts, und unter den Abgeordneten äußerte sich 
immer vernehmlicher das Verlangen, daß auch Hessen, wie die anderen 
süddeutschen Staaten eine förmliche, das gesammte Staatsrecht umfassende 
Verfassungsurkunde erhalten müsse. Wie viel einfacher doch, wenn man 
den Ständen diesen Herzenswunsch erfüllte! Der Minister berieth sich ins— 
geheim mit seinem Schwager, dem Kanzler der Universität Gießen, Arens, 
einem namhaften Juristen, dann mit Staatsrath Hofmann, der das 
Finanzwesen sehr geschickt leitete, endlich auch mit einem jüngeren liberalen 
Beamten, Geh. Rath Jaup. Mit Ausnahme Jaup's war keiner dieser 
vier Männer constitutionell gesinnt, sie Alle betrachteten eine Verfassung 
besten Falles als ein nothwendiges Uebel, Arens gehörte sogar zu der 
  
*) Eingabe der Standesherren an den Großherzog, März 1816. 
**) Marschall an den Herzog von Nassau, 30. Juni 1820.
	        
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