Zweiter Abschnitt.
Die letzten Reformen Hardenberg's.
Derweil die Wiener Conferenzen den Sisyphus-Stein der Bundes—
verfassung auf und nieder wälzten, gelangte in Berlin eine Arbeit zum
Abschluß, die außerhalb Preußens wenig beachtet für Deutschlands Zu—
kunft ungleich folgenreicher werden sollte als alle Verhandlungen der
Bundespolitik. Der greise Staatskanzler legte die letzte Hand an das
Werk der inneren Reformen. Wie zuversichtlich blickte er wieder ins
Leben seit er den verhaßten Humboldt in den Sand geworfen hatte. Er
fühlte sich wie verjüngt, alle die stolzen Hoffnungen der ersten Jahre
seiner Kanzlerschaft wurden ihm wieder lebendig. Wie er damals als
ein Dictator den Staat zweimal mit einem ganzen Füllhorn neuer Ge—
setze überschüttet hatte, so dachte er jetzt die Neuordnung des Staats-
haushaltes mit einem Schlage zu beendigen. Eine Commission des
Staatsraths unter dem Vorsitz von Klewitz und Bülow hatte mittler-
weile die Entwürfe der neuen Steuergesetze vollendet, eine andere unter
der eigenen Leitung des Staatskanzlers den Stand des Staatshaus-
haltes und des Schuldenwesens geprüft. In jener war J. G. Hoffmann,
in dieser C. Rother der leitende Kopf, beide Männer zählten zu Harden-
berg's nächsten Vertrauten, und er betrachtete ihre Arbeiten als sein
persönliches Werk.
In drei langen Vorträgen entwickelte er dem Könige seinen Finanz-
plan, und sobald er am 12. Januar den Monarchen im Wesentlichen
überzeugt hatte, stellte er sofort den Antrag, daß die sämmtlichen neuen
Gesetze über das Steuer= und Schuldenwesen unverzüglich veröffentlicht
würden;) dann sollten noch im Laufe dieses Jahres die Gemeinde-,
Kreis= und Provinzialordnung und schließlich die Reichsverfassung folgen.
Er übersah in seiner Ungeduld, daß er sich inzwischen der dictatorischen
*) Hardenberg's Tagebuch, 10., 11., 12. Jan. 1820.