Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Herzog Wilhelm erscheint in Braunschweig. 103 
der Bürgergarde vor dem Heere. Mit dem Soldatenspiele der Pariser 
Bourgeoisie drang auch die undeutsche Verachtung des ernsten Waffen— 
handwerks in das selbstgefällige Bürgertum dieser Kleinstaaten ein; die 
wirkliche Volksbewaffnung, die in Preußen längst bestand, hieß „ein 
Werkzeug des Despotismus“. 
Die Regierung wußte sich nicht zu helfen. Von den verrufenen 
Räten des Herzogs hatten mehrere das Weite gesucht, den zurückbleiben— 
den fehlten Kraft und Ansehen. Umso rascher handelten die Landstände; 
einigen ihrer Führer kam der Schloßbrand offenbar nicht unerwartet. 
Schon am 9. September versammelte sich der Große Ausschuß und faßte 
noch am selben Tage drei entscheidende Beschlüsse. Er beschloß bis zur 
Einberufung des Landtages zusammenzubleiben, er bevollmächtigte die 
Grafen Werner Veltheim und Oberg, in Berlin und Hannover „vertrau— 
liche Eröffnungen zu machen und für gewisse Fälle Rat zu erbitten“;?) 
er richtete endlich an den Bruder des Herzogs, den letzten noch übrigen 
Sprossen des Fürstenhauses, eine von vielen Bürgern mitunterzeichnete 
Adresse, um ihn zu bitten, daß er „die Zügel der Regierung schleunigst 
übernehme“. 
Herzog Wilhelm von Braunschweig-Ols stand in Berlin bei den 
Gardedragonern und galt bei den Kameraden für einen Lebemann, der 
sein großes Vermögen gründlich zu genießen verstehe; Talente hatte man 
an dem vierundzwanzigjährigen Prinzen bisher noch nicht bemerkt. Schon 
am Abend des 8. September brachte ihm der reitende Bote eines braun- 
schweigischen Hofbeamten die Nachricht von dem Aufruhr, und sofort erbat 
er sich durch seinen väterlichen Freund, den Fürsten Wittgenstein, die 
Befehle des Königs. Auf Friedrich Wilhelms dringenden Rats“) reiste 
er dann eilends ab, um daheim vorläufig die Ordnung aufrecht zu erhalten. 
Allen unerwartet, erschien er am 10. im Schlosse Richmond, vor den 
Toren Braunschweigs, während die Adresse des ständischen Ausschusses 
noch nach Berlin unterwegs war. Wie frohlockten die friedfertigen Re- 
volutionshelden, als sie nun wieder hoffen durften, von einem leibhaftigen 
Welfen beherrscht zu werden. Im Triumphe wurde „Wilhelm der Ge- 
segnete“ von der Bürgerwehr und jauchzenden Volkshaufen in die Stadt 
seiner Väter eingeholt. Nichts lag ihm ferner als ehrgeizige Anschläge 
auf die Krone seines Bruders. Hart genug kam es ihm an, daß er die 
fröhlichen Gelage der Berliner Garde mit den Sorgen der Regierung 
und der Langeweile der kleinen Hauptstadt vertauschen mußte; auch blieb 
er sein Leben lang den strengen legitimistischen Grundsätzen seines Hauses 
ergeben und konnte den stillen Arger über die Meuterei seiner Braun- 
*) Veltheim an Bernstorff, 17. Sept. 1830. 
**) Dieser Tatsachen gedenkt das hannöversche Ministerium in seinem Berichte an 
König Wilhelm IV. vom 14. Sept., desgleichen Graf Münster in einem Schreiben an 
Stralenheim vom 21. Nov. 1830. 
 
	        
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