Herzog Wilhelm erscheint in Braunschweig. 103
der Bürgergarde vor dem Heere. Mit dem Soldatenspiele der Pariser
Bourgeoisie drang auch die undeutsche Verachtung des ernsten Waffen—
handwerks in das selbstgefällige Bürgertum dieser Kleinstaaten ein; die
wirkliche Volksbewaffnung, die in Preußen längst bestand, hieß „ein
Werkzeug des Despotismus“.
Die Regierung wußte sich nicht zu helfen. Von den verrufenen
Räten des Herzogs hatten mehrere das Weite gesucht, den zurückbleiben—
den fehlten Kraft und Ansehen. Umso rascher handelten die Landstände;
einigen ihrer Führer kam der Schloßbrand offenbar nicht unerwartet.
Schon am 9. September versammelte sich der Große Ausschuß und faßte
noch am selben Tage drei entscheidende Beschlüsse. Er beschloß bis zur
Einberufung des Landtages zusammenzubleiben, er bevollmächtigte die
Grafen Werner Veltheim und Oberg, in Berlin und Hannover „vertrau—
liche Eröffnungen zu machen und für gewisse Fälle Rat zu erbitten“;?)
er richtete endlich an den Bruder des Herzogs, den letzten noch übrigen
Sprossen des Fürstenhauses, eine von vielen Bürgern mitunterzeichnete
Adresse, um ihn zu bitten, daß er „die Zügel der Regierung schleunigst
übernehme“.
Herzog Wilhelm von Braunschweig-Ols stand in Berlin bei den
Gardedragonern und galt bei den Kameraden für einen Lebemann, der
sein großes Vermögen gründlich zu genießen verstehe; Talente hatte man
an dem vierundzwanzigjährigen Prinzen bisher noch nicht bemerkt. Schon
am Abend des 8. September brachte ihm der reitende Bote eines braun-
schweigischen Hofbeamten die Nachricht von dem Aufruhr, und sofort erbat
er sich durch seinen väterlichen Freund, den Fürsten Wittgenstein, die
Befehle des Königs. Auf Friedrich Wilhelms dringenden Rats“) reiste
er dann eilends ab, um daheim vorläufig die Ordnung aufrecht zu erhalten.
Allen unerwartet, erschien er am 10. im Schlosse Richmond, vor den
Toren Braunschweigs, während die Adresse des ständischen Ausschusses
noch nach Berlin unterwegs war. Wie frohlockten die friedfertigen Re-
volutionshelden, als sie nun wieder hoffen durften, von einem leibhaftigen
Welfen beherrscht zu werden. Im Triumphe wurde „Wilhelm der Ge-
segnete“ von der Bürgerwehr und jauchzenden Volkshaufen in die Stadt
seiner Väter eingeholt. Nichts lag ihm ferner als ehrgeizige Anschläge
auf die Krone seines Bruders. Hart genug kam es ihm an, daß er die
fröhlichen Gelage der Berliner Garde mit den Sorgen der Regierung
und der Langeweile der kleinen Hauptstadt vertauschen mußte; auch blieb
er sein Leben lang den strengen legitimistischen Grundsätzen seines Hauses
ergeben und konnte den stillen Arger über die Meuterei seiner Braun-
*) Veltheim an Bernstorff, 17. Sept. 1830.
**) Dieser Tatsachen gedenkt das hannöversche Ministerium in seinem Berichte an
König Wilhelm IV. vom 14. Sept., desgleichen Graf Münster in einem Schreiben an
Stralenheim vom 21. Nov. 1830.