184 IV. 3. Preußens Mittelstellung.
drüben konnte das kleine Fürstentum unter der Oberhoheit eines starken
republikanischen Bundesstaates zur Not ebensowohl fortbestehen, wie heute
die hanseatischen Städterepubliken unter dem monarchischen Deutschen
Reiche. Aber die Partei, welche die notwendige Bundesreform verlangte,
vertrat zugleich die Ideen des Radikalismus, sie forderte mit wachsender
Dreistigkeit die Vertreibung der Hohenzollern aus der Eidgenossenschaft, alle
ihre Blätter wiederholten beharrlich das alte Kraftwort, daß Schweizer „sich
nicht beherren“ dürften. So sah sich Preußen geradezu gezwungen, in
der Bundespolitik die Vorkämpfer des Partikularismus, die schweizerischen
Konservativen zu unterstützen. Zu ihnen hielten sich der alte Staats-
rat Sandoz-Rollin und die anderen wohlmeinenden Patrizier, welche
das Neuenburger Land regierten; ihre Führer in Bern, Basel, Zürich
standen mit Otterstedt in beständigem Verkehr. Doch was auch die
Radikalen durch Übermut und Gewalttätigkeit sündigten, ihnen gehörte
die Zukunft; und kam dereinst der Tag, da die Bundeseinheit über den
Partikularismus triumphierte, dann stand der hohenzollernsche Kanton in
den Reihen der geschlagenen Partei. Niemand erkannte diese Gefahren
deutlicher als General Pfuel. Der war jetzt Gouverneur des Fürsten-
tums, gewann die Herzen der Jugend durch seine Schwimmschulen im
See, die Achtung aller Parteien durch sein ehrliches Wohlwollen. Das
zuchtlose Gerede der Radikalen behagte dem liberalen Offizier ebensowenig
wie die calvinische Engherzigkeit und der beschränkte Vetterngeist der Roya-
listen; ein Trost nur, daß er an Agassiz einen geistreichen Umgang fand,
wic er ihn in seinem Berliner literarischen Freundeskreise genossen hatte.
Schon im Jahre 1832 sprach er dem Könige offen aus, bei dem nahen
Zusammenbruch der alten Bundesverfassung würde sich der neuenbur-
gische Fürstenhut schwerlich halten lassen. —
Gleichviel, überall wo die schwarzweißen Fahnen wehten, behauptete
das Königtum noch sein altes Ansehen. Mit Erstaunen bemerkten Freund
und Feind, wie treu das katholische Rheinland zu seinem Herrscher stand;
die schwerste unter allen den schweren Aufgaben, welche der Wiener Kon-
greß diesem Staate gestellt, schien glücklich gelöst. Zahllose Sendboten
aus Frankreich und Belgien trieben am Rhein ihr Wesen; überall fanden
sie taube Ohren, überall wurden die vaterländischen Truppen, als sie zum
Schutze der Westgrenze heranzogen, mit offenen Armen aufgenommen,
und Prinz Wilhelm der Altere, der als Gouverneur an den Rhein kam,
gewann sich in Köln bald die allgemeine Verehrung. Nur die dreistere
Sprache des Klerus ließ zuweilen schon erraten, daß die Nachbarschaft
der belgischen Priesterherrlichkeit mit der Zeit vielleicht den Frieden der
preußischen Rheinlande stören würde. Begreiflich also, daß die harmlosen
preußischen Zeitungen im Selbstlobe schwelgten und der rheinische Pädagog
Aldefeld in zweifelhaften Versen weissagte, das starke Preußen werde fortan
das Land der Ruhe heißen. Aber auch einsichtige Beobachter erkannten