Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

184 IV. 3. Preußens Mittelstellung. 
drüben konnte das kleine Fürstentum unter der Oberhoheit eines starken 
republikanischen Bundesstaates zur Not ebensowohl fortbestehen, wie heute 
die hanseatischen Städterepubliken unter dem monarchischen Deutschen 
Reiche. Aber die Partei, welche die notwendige Bundesreform verlangte, 
vertrat zugleich die Ideen des Radikalismus, sie forderte mit wachsender 
Dreistigkeit die Vertreibung der Hohenzollern aus der Eidgenossenschaft, alle 
ihre Blätter wiederholten beharrlich das alte Kraftwort, daß Schweizer „sich 
nicht beherren“ dürften. So sah sich Preußen geradezu gezwungen, in 
der Bundespolitik die Vorkämpfer des Partikularismus, die schweizerischen 
Konservativen zu unterstützen. Zu ihnen hielten sich der alte Staats- 
rat Sandoz-Rollin und die anderen wohlmeinenden Patrizier, welche 
das Neuenburger Land regierten; ihre Führer in Bern, Basel, Zürich 
standen mit Otterstedt in beständigem Verkehr. Doch was auch die 
Radikalen durch Übermut und Gewalttätigkeit sündigten, ihnen gehörte 
die Zukunft; und kam dereinst der Tag, da die Bundeseinheit über den 
Partikularismus triumphierte, dann stand der hohenzollernsche Kanton in 
den Reihen der geschlagenen Partei. Niemand erkannte diese Gefahren 
deutlicher als General Pfuel. Der war jetzt Gouverneur des Fürsten- 
tums, gewann die Herzen der Jugend durch seine Schwimmschulen im 
See, die Achtung aller Parteien durch sein ehrliches Wohlwollen. Das 
zuchtlose Gerede der Radikalen behagte dem liberalen Offizier ebensowenig 
wie die calvinische Engherzigkeit und der beschränkte Vetterngeist der Roya- 
listen; ein Trost nur, daß er an Agassiz einen geistreichen Umgang fand, 
wic er ihn in seinem Berliner literarischen Freundeskreise genossen hatte. 
Schon im Jahre 1832 sprach er dem Könige offen aus, bei dem nahen 
Zusammenbruch der alten Bundesverfassung würde sich der neuenbur- 
gische Fürstenhut schwerlich halten lassen. — 
Gleichviel, überall wo die schwarzweißen Fahnen wehten, behauptete 
das Königtum noch sein altes Ansehen. Mit Erstaunen bemerkten Freund 
und Feind, wie treu das katholische Rheinland zu seinem Herrscher stand; 
die schwerste unter allen den schweren Aufgaben, welche der Wiener Kon- 
greß diesem Staate gestellt, schien glücklich gelöst. Zahllose Sendboten 
aus Frankreich und Belgien trieben am Rhein ihr Wesen; überall fanden 
sie taube Ohren, überall wurden die vaterländischen Truppen, als sie zum 
Schutze der Westgrenze heranzogen, mit offenen Armen aufgenommen, 
und Prinz Wilhelm der Altere, der als Gouverneur an den Rhein kam, 
gewann sich in Köln bald die allgemeine Verehrung. Nur die dreistere 
Sprache des Klerus ließ zuweilen schon erraten, daß die Nachbarschaft 
der belgischen Priesterherrlichkeit mit der Zeit vielleicht den Frieden der 
preußischen Rheinlande stören würde. Begreiflich also, daß die harmlosen 
preußischen Zeitungen im Selbstlobe schwelgten und der rheinische Pädagog 
Aldefeld in zweifelhaften Versen weissagte, das starke Preußen werde fortan 
das Land der Ruhe heißen. Aber auch einsichtige Beobachter erkannten
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.